Eva Brechtbühl hat ihr Leben dem Tourismus gewidmet. Für ihr langjähriges Engagement erhielt sie jüngst den Milestone 2021 für ihr Lebenswerk.
Eva Brechtbühl, Sie stiessen 1971 zu Schweiz Tourismus, als die Organisation noch Schweizerische Verkehrszentrale hiess. Was war damals anders als heute?
So ziemlich alles (lacht). Das fängt schon bei den Apparaturen an: Wir arbeiteten zuerst mit einer IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine, danach kamen die ersten Schreibcomputer. Am Morgen erhielten wir in der Telefonzentrale von 60 Skistationen den Pistenbericht. Diese wurden in den Fernschreiber eingelesen und gingen raus an alle Auslandsvertretungen, die SBB und an weitere Partner. Heute passiert das alles natürlich vollautomatisch.
Und was ist gleich geblieben?
Das tolle Ferien- und Reiseland Schweiz, welches in der ganzen Welt vermarktet wird. Man hatte früher vielleicht etwas mehr Zeit dafür – weil alles gezwungenermassen mehr Zeit brauchte. Das hat meiner Meinung nach früher auch einen anderen Menschenschlag angezogen. Mir fehlt heute teilweise das Visionäre, die grossen Gedanken zur Zukunft des Tourismus. Das geht im hektischen Tagesgeschäft leider etwas unter.
Heute arbeiten Sie als Expertin für die Schweizer Berghilfe. Welche Themen beschäftigen Sie dort?
Ich bin als Touristikerin zur Berghilfe gestossen, als dieses Feld neu eröffnet wurde. Landwirtschaftliche Projekte werden mit 70 bis 75 Prozent immer noch am meisten unterstützt, aber auch touristische Projekte schaffen Arbeitsplätze und erzielen eine Wertschöpfung in peripheren Lagen. Wir fördern in erster Linie kleinere Berghotels, Gasthöfe und Gruppenunterkünfte sowie agrotouristische Betriebe.
Bei Ihren Besuchen vor Ort erfahren Sie auch von den Sorgen und Nöten der Menschen, die um Spendengelder ansuchen. Ein Job, der ein offenes Ohr voraussetzt?
Die gute Kommunikation mit meinen Mitmenschen war in meiner Karriere immer das Wichtigste für mich. Teamarbeit stand für mich im Vordergrund, um gemeinsam etwas erreichen zu können. Bei der Berghilfe ist das nicht anders, man hat mit ganz verschiedenen Menschen zu tun und muss auf ihre Bedürfnisse ganz individuell eingehen.
Gibt es eine Geschichte, die Sie besonders berührt hat?
Derzeit bearbeite ich das Dossier einer Familie mit sechs Kindern und einem Bauernbetrieb. Die Eltern arbeiten zusätzlich extern, um über die Runden zu kommen. Nun wollen sie als weiteres Standbein ein Bed & Breakfast einrichten, um mehr zuhause sein zu können. Solche Geschichten berühren mich, weil es nicht in erster Linie um Geld geht, sondern um die Menschen, die das Projekt aufbauen.
Die Milestone-Jury war beeindruckt von Ihrem Optimismus. Wie konnten Sie sich diesen auch während der Corona-Krise bewahren?
Ich schöpfe viel Kraft aus der Natur. Ich gehe täglich zwei Stunden mit meinem Hund spazieren oder joggen. Beruflich hat sich die Art der Treffen zwar verändert, da vieles online stattfand. Trotzdem war der Austausch mit den Menschen noch da und machte mir viel Spass. Privat muss man natürlich zurückstecken und wünscht sich bald eine Normalisierung. Aber man muss das Beste daraus machen und halt wieder mal ein gutes Buch lesen.
Sie haben Ihr Leben dem Tourismus gewidmet. Was fasziniert Sie an der Branche?
Der Schweizer Tourismus ist ein riesiges und immer wieder spannendes Feld. Es handelt sich zudem um ein People Business, was meinem Naturell perfekt entspricht. Darauf müsste man meiner Meinung nach auch im Einstellungsprozess mehr achten: Menschen nicht nur aufgrund ihrer Diplome einzustellen, sondern aufgrund ihrer Leidenschaft und ihrem offenen Umgang mit Menschen.
Welches war die grösste Herausforderung in Ihrer Karriere?
Mit einem weinenden Auge denke ich an die Phase zurück, als sich Schweiz Tourismus zu einer reinen Marketingorganisation entwickelte und ich Mitarbeitende entlassen musste. Das war etwas vom Schwierigsten für mich. Es gab aber auch positive Herausforderungen, beispielsweise eine der ersten Grossveranstaltungen von Schweiz Tourismus in der Tate Gallery in London oder die Entwicklung des Schweizer Ferientags.
Als Tourismusexpertin kennen Sie die Schweiz in- und auswendig. Wo trifft man Sie in Ihrer Freizeit an?
An ganz verschiedenen Orten. Besonders angetan haben es mir die Bergseitentäler wie das Binntal im Wallis oder das Safiental in Graubünden. In diesen Tälern gibt es immer wieder etwas Neues zu entdecken.
(Interview Angela Hüppi)
Eva Brechtbühl war 37 Jahre für die Schweizerische Verkehrszentrale und die Nachfolgeorganisation Schweiz Tourismus tätig, unter anderem in der Geschäftsleitung. Seit 2007 ist sie Fachexpertin Tourismus bei der Schweizer Berghilfe und wurde 2021 mit dem Milestone-Preis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.