Chefs wissen nicht immer, dass in ihrem Betrieb etwas schiefläuft. Mitarbeitende könnten auf Missstände hinweisen, trauen sich aber oft nicht. Dafür gibt es Lösungen.
Whistleblower sind Menschen, die ihr Insiderwissen nutzen, um Missstände publik zu machen. Dies trotz der Nachteile, die sich allenfalls daraus ergeben. Zu den bekanntesten Whistleblowern unserer Zeit zählen:
- Julian Assange. Der Investigativjournalist und Politikaktivist gründete die Enthüllungsplattform Wikileaks und brachte zahlreiche Missstände in den Blick der Öffentlichkeit.
- Edward Snowden. Er deckte auf, dass der US-Geheimdienst NSA Telefonate und Mails von Journalisten ausspioniert.
- Chelsea Mannig. Die ehemalige US-Soldatin brachte Kriegsverbrechen der USA im Irak- und Afghanistan-Krieg ans Licht.
Ob man mit ihrem Vorgehen einverstanden ist oder nicht, die drei haben Mut bewiesen. Dieser fehlt Mitarbeitenden oft. Aus Angst vor Repressalien schweigen sie.
Statt Missstände anzuprangern und so nötige Verbesserungen anzustossen, unterstützen und verstärken die Schweigenden den Missstand. Langfristig schadet das dem Betrieb und damit auch ihnen selbst.
Um Fehlverhalten sowie organisatorische, infrastrukturelle und personelle Schwachstellen möglichst rasch, ehrlich und ungeschönt aufzudecken, setzen Hotels wie das «Sacher» in Wien (AT) auf die Hilfe von Whistleblowern.
Das «Sacher» fordert auf seiner Website auf, Unrechtmässigkeiten zu melden. Dazu hat es extra eine Whistleblowing-Hotline eingerichtet. Die Hinweise können die Produkt- und Lebensmittelsicherheit, strafrechtliche Verstösse, Verletzungen des Datenschutzes oder andere Missstände betreffen.
Ihre Beobachtungen und Meldungen können Gäste, Mitarbeitende, Lieferanten und andere Personen über die Whistleblowing-Hotline komplett unerkannt einreichen. Sie erhalten vom Software-System ein digitales, anonymes Postfach. Dieses ist durch ein Passwort geschützt, welches nur ihnen bekannt ist. Über dieses Postfach erhalten die Whistleblower eine Bestätigung, dass ihr Warnhinweis beim Hotel Sacher eingetroffen ist. Wenn sie es wünschen, werden sie zudem über eingeleitete oder bereits erfolgte Massnahmen zur Behebung des Missstandes informiert.
Auch in der Schweiz gibt es Hotels, die Whistleblower-Software nutzen. Seit November 2023 hat die Hotel- und Restaurantgruppe The Living Circle auf ihrer Website eine Hinweisstelle/Integrity-Line installiert. Sie ist in der Rubrik «über uns» unter «Code of Conduct» zu finden. Ob Gäste, Mitarbeitende oder Lieferanten, die Meldefunktion steht grundsätzlich allen offen.
Kristina Tanasic ist Chief People & Culture sowie Mitglied der Geschäftsleitung bei The Living Circle. Sie bezeichnet die Erfahrungen mit der Integrity-Line als positiv. Mitarbeitende hätten das Tool zum Beispiel genutzt, um zu informieren, dass L-GAV-Vorschriften im Bereich Arbeitszeit nicht immer überall eingehalten wurden. «Es gab auch Mitarbeitende, die Missstände im Bereich Mobbing gemeldet haben», weiss Kristina Tanasic. Diese Vorfälle wurden von einem externen Anwalt geprüft und konnten entschärft werden.
«Alle Meldungen gehen an einen externen Anwalt zur Prüfung. Falls Handlungsbedarf besteht, werden die entsprechenden internen Personen informiert», erklärt die Chief People & Culture das Vorgehen und ergänzt: «Zusammen mit dem Anwalt werden Massnahmen auf die Hinweise erarbeitet und falls notwendig wird auch die Kommunikation gemeinsam geplant.»
Wie Kristina Tanasic festgestellt hat, wird die anonyme Meldekultur auch ausserhalb von The Living Circle positiv wahrgenommen: «Besonders Lieferanten und zukünftige Mitarbeitende sprechen uns darauf an.»
(Riccarda Frei)