Je chaotischer die Zeiten werden, desto mehr sehnen sich die Menschen nach der Beschaulichkeit früherer Epochen.
Was darf es sein? Eine Zeitreise zu den alten Römern, ins gar nicht so finstere Mittelalter, in die Biedermeierzeit, in die Belle Epoque oder in die wilden 20er- und aufmüpfigen 50er- Jahre? Die Palette an historisch mehr oder weniger authentischen Anlässen und Ferienangeboten ist breit: an Land genauso wie auf dem Wasser.
Patrick Jost, Vizepräsident des Vereins Belle Epoque und Leiter Tourist Center Kandersteg
Gibt man auf der Tourismusplattform myswitzerland.com im Segment Veranstaltungen den Suchbegriff Nostalgie ein, poppen (Stand 18. Februar) über 400 Anlässe auf. Darunter verschiedenste Fahrten mit historischen Zügen, Kutschen oder Dampfschiffen, Nostalgieskirennen, Töfflitouren, Oldtimertreffen, Mittelaltermärkte und Tanzevents von der 70er- und 80er-Jahre-Party bis zum Swing-Tanz-Weekend.
Richtig tief in eine längst vergangene Epoche eintauchen – zeitgemässe Kleidung inbegriffen – können Zeitreisende in der letzten Januarwoche in Kandersteg/BE. Wer keine passende Garderobe aus der Zeit von 1871 bis 1914 hat, kann sich beim lokalen Kostümverleih einkleiden. Zudem sorgt eine Hutmacherin vor Ort dafür, dass Damen und Herren den perfekten Kopfputz zu ihrem historischen Outfit erwerben können. Korrekt gekleidet macht das Flanieren durch das Dorf, der Besuch der verschiedenen gesellschaftlichen und sportlichen Anlässe, Ausstellungen und Vorführungen gleich viel mehr Spass. Die Gäste werden Teil der Attraktion und damit der Tourismusgeschichte Kanderstegs.
Organisiert wird die Belle- Epoque-Woche vom Belle Epoque Verein Kandersteg BEVK. «Es ist uns gelungen, mit dieser Woche den Januar in Kandersteg touristisch zu beleben. Ohne die Einheimischen ginge so ein Anlass aber nicht», sagt Patrick Jost. Er ist Vizepräsident des BEVK und Leiter des Tourist Center Kandersteg. Gerade die Geschäfte, Hotels und Restaurants seien wichtige Partner, um die Belle Epoque für die Gäste möglichst authentisch erlebbar zu machen.
Die effektive Wertschöpfung für das Dorf und die Region sei zwar noch nie ermittelt worden, aber Patrick Jost weiss aus Erfahrung: «Wir haben dank des Anlasses viele Übernachtungs- und Tagesgäste. Zudem bringt er eine grosse mediale Resonanz.»
Bereits zum 15. Mal belebt die Belle-Epoque-Woche in Kandersteg das Januar-Geschäft. (zvg)
Weil das Zeitreisen so schön ist, werden seit zwölf Jahren auch Belle-Epoque-Sommertage in Kandersteg durchgeführt. Dieses Jahr finden sie vom 8. bis 10. August statt, wobei sich dieser Anlass in erster Linie an die Mitglieder des BEVK richtet.
Noch weiter zurück, nämlich in die Zeit zwischen 1814 und 1848, reisen die Gäste, die das Biedermeierfest in Heiden/AR besuchen. Der Anlass findet zwar nur alle vier Jahre statt. Das nächste Mal vom 4. bis 6. September im Jahr 2026. Auch hier kleiden sich die Gäste zeitgemäss im Stil des Biedermeiers und erleben Geschichte mit allen Sinnen. Für Gruppen bis 25 Personen organisiert der Verein Biedermeier Heiden das ganze Jahr über Zeitreisen mit Dorfführung, Schnitzeljagd und Mittagessen im Biedermeiersaal. Höhepunkt ist das Gruppenfoto im Biedermeierkostüm.
Im Gegensatz zu Kandersteg weiss man in Heiden, wie viel Wertschöpfung mit der Reise in die Vergangenheit generiert wird. «Für die Berechnung der Wertschöpfung gibt es verschiedene Ansatzpunkte», sagt Norbert Näf. Er ist Präsident des Vereins Biedermeier Heiden und weiss: «Bei gutem Wetter beträgt der Umsatz der Festwirtschaften am dreitägigen Fest rund 400000 Franken.» Dazu kommen die individuell in den umliegenden Restaurants erzielten Umsätze, deren Höhe Näf nicht kennt. Vollständig belegt ist dafür der Logis-Umsatz. Er beträgt rund 50000 Franken. Weitere rund 300000 Franken Umsatz generieren die Appenzeller Bahnen, SBB und Postauto, denn zum Festumzug reisen gut 14000 Zuschauerinnen und Zuschauer an.
Zwar findet das Fest nur alle vier Jahre statt, doch Norbert Näf ist überzeugt, dass die Region auch in der Zwischenzeit vom Biedermeier-Flair profitiert. Einerseits, weil das Fest eine hohe Medienpräsenz auslöst und den Bekanntheitsgrad der Region erhöht. Andererseits erleben die Besuchenden die Schönheit des Appenzellerlandes, was viele inspiriert, die Region zu einem anderen Zeitpunkt weiter zu entdecken.
Der Verein Biedermeier Heiden selber ist auch zwischen den Festen aktiv. Sei es als «Aushängeschild» für die Region und den Kanton bei grösseren Anlässen in Heiden oder bei Gastauftritten an Anlässen wie Olma oder Sechseläuten. Zudem wirbt der Verein durch seine Teilnahme an Biedermeierfesten im In- und Ausland für Heiden, das Appenzellerland und die Ostschweiz.
(Riccarda Frei)