Die Gastkolumne – diese Woche von: Patrick Zbinden, Kulinarikexperte, Sensoriker, Food-Journalist.
In vielen Küchen fristet der Essig ein Aschenputteldasein. Zu Unrecht, denn das saure Elixier ist ein unverzichtbarer Küchenhelfer und momentan auf bestem Weg, sich als Trendprodukt in der Küche zu etablieren. Gut so, denn es gibt nur wenige Universalwürzmittel, die Aromen herausarbeiten und potenzieren. Essig gehört ganz klar dazu. Der Beweis für diese Behauptung ist schnell erbracht: Eine klassische Gemüsecremesuppe wird erst ohne und anschliessend mit Zugabe von Essig, am besten ein paar Tropfen Weissweinessig, degustiert. Der Gaumen erkennt sofort, dass die subtile Essigsäure die Suppe finalisiert und ihr einen zusätzlichen Frischekick verpasst. Schmeckt die Suppe zu intensiv nach Essig, wurde zu viel des feinsäuerlichen Elixiers dazugegeben. Damit dies nicht geschieht, müssen bei der Verwendung von Essig als Würzmittel die gleichen Regeln beachtet werden wie beim Umgang mit Salz, das heisst, die aromaverstärkende Zutat darf nicht vordergründig wahrgenommen werden. Deshalb macht es Sinn, für mild-aromatische Speisen einen eher milden, für würzige Speisen einen kräftigen Essig zu nehmen.
Von dieser Regel ausgenommen sind Fruchtessige wie Himbeeressig. Solche hocharomatischen Essigsorten dürfen die Eigenaromen des Grundprodukts durchaus leicht überdecken und werden gezielt wie ein Gewürz eingesetzt.
Apropos Beerenessige: Für solche braucht es 150 Gramm frische oder aufgetaute Beeren (Himbeeren, Erdbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren, Cassis, Kirschen). Die Hälfte davon in einem Sieb zu Mus zerdrücken. Mus, Saft und ganze Beeren in eine sterilisierte Flasche geben. Mit einem halben Liter Essig übergiessen und die Flasche verschliessen. Die an einem dunklen Ort gelagerte Flasche täglich leicht kreisend schwenken. Den Beerenessig nach rund zwei Wochen absieben und nach Belieben mit einem Esslöffel Zucker, Birnendicksaft oder Ahornsirup nachwürzen.