Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

Wenn Abstinenz einen Kater verursacht

Einst verdiente die Gastronomie mit Getränken, allen voran Wein und Spirituosen, viel Geld. Heute konsumieren die Gäste bewusster. Mit dem kontinuierlich sinkenden Alkoholkonsum müssen alle beteiligten Branchen umdenken. Der «dry January» bietet die Gelegenheit, einen Blick auf die europäische Gesundheitspolitik, das Kulturgut Wein sowie entalkoholisierte Weine zu werfen.

Wenn wir uns für das neue Jahr alles Gute wünschen, ist die Gesundheit eingeschlossen. Ja, sie ist gar das Wichtigste. So stehen gemäss dem UBS-Sorgen-barometer 2024 die Sorgen um Gesundheitsfragen inklusive Krankenkassen und -prämien auf Rang eins der Schweizerinnen und Schweizer. Weltweit gehören Luftverschmutzung, Diabetes und Herzleiden zu den häufigsten Gesundheitsbedrohungen. Gründe dafür sind Rauchen, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum und Fehlernährung. Allen voran hat die Weltgesundheitsorganisation WHO mit dem Strategiepapier «Global Alcohol Action Plan 2022–2030» dem Alkoholkonsum den Kampf angesagt. Viele Ernährungsgesellschaften reduzierten in der Folge die als unbedenklich angesehenen zwei bis drei Standarddrinks auf deren null. Unterstützung erhalten sie von neoabstinenten Stars, die einst massiv zu tief ins Glas schauten, sowie selbst ernannten Gesundheitsgurus.

Bereits bevor der «dry January» im Jahr 2010 in Grossbritannien lanciert wurde und im Jahr 2021 die Schweiz erreichte, begann der Alkoholkonsum zu sinken. Dass ­Geschäftsessen, an denen reichlich Wein konsumiert wurde, wegfielen, traf die Gastronomie spürbar. Seit Corona brechen auch die Umsätze in Nachtlokalen ein. Junge Menschen sind nicht erpicht auf brummende Schädel am Tag danach. Sie wollen fit sein und Sport treiben.

Besonders hart trifft dies das mehr als 8000 Jahre alte Kulturgut Wein. Den Kater spüren die Winzer genauso wie der Weinhandel. «Wir hatten Glück», sagt Stephan Bucher von Haus Österreich in Luzern. «Wir konnten unseren Umsatz halten.» Wein aus Österreich, vor allem die Weissweine, entsprechen der Tendenz nach feiner, frischer und weniger Alkohol.

Junge für Wein begeistern

«Rotwein zu trinken, ist grossväterlich», erklärt der Weinhändler. «Das birgt die Gefahr, dass der Nachwuchs fehlt.» Zwar seien viele Junge auf den Naturwein-Hype aufgesprungen. Doch dieser klinge langsam wieder ab. «Wir müssen Weinevents anders gestalten. Vielleicht hilft uns alkoholfreier Wein dabei.»

Stephan Bucher hat lange nach entalkoholisiertem Wein gesucht. Fündig wurde er bei Alpdrinks, welche die Marke «THE zero» zum Jahreswechsel an ADrinks in Bürs (AT) abgetreten hat. Aus deren Linie The Zero bietet er zwei Schaumweine sowie je einen Weiss- und Rotwein an. Doch wie nahe kommt The-Zero-Wein dem Original? «Beim Schaumwein lenkt der ‹Sprudel› etwas ab und ein Vergleich ist schwer herstellbar», erklärt der Geschäftsführer von ADrinks Jürgen Kessler. «Beim Stillwein ist ein geringerer Unterschied festzustellen, ausser dass er nach der Entalkoholisierung ‹dünner› schmeckt. Mit Fortdauer in der Flasche ändert sich das und er rückt dem Original wieder näher.»

Ist ein Vergleich sinnvoll?

«Sommeliers und Fachleute vergleichen gerne und urteilen schnell», stellt Jürgen Kessler fest. «Auf der anderen Seite wissen wir, dass viele unserer Kunden gar nicht vergleichen wollen. Sie sind glücklich mit dem, was sie bekommen.» The Zero trifft den Geschmack von Kunden aus aller Welt. Selbst Winzer, die zu Beginn lächelten, zollen Respekt.

Gastronomen rät er, offen für Neues zu sein, Vorurteile beiseite zu schieben, selbst zu probieren und sich eine Meinung zu bilden. Und ganz wichtig: Kunden probieren lassen. «Ich kenne die Antworten», sagt Jürgen Kessler. «Die meistgehörten sind: Hätte ich nicht erwartet. Ist da wirklich kein Alkohol drin? Wo kann ich diese Weine erwerben?»

Wichtig ist, nur beste Weinqualitäten sind geeignet. «Alle The-Zero-Weine bestehen aus echten Trauben», betont Jürgen Kessler. «Wir arbeiten mit Vakuumdestillation bei Temperaturen von nur 26 bis 29 Grad Celsius. Dies ist für Weine das aktuell schonendste Verfahren.» Doch Alkohol ist auch Geschmacksträger und Konservierungsmittel. Wird er entfernt, muss Traubenmostkonzentrat die Lücke füllen, welches dem Wein Körper gibt. Und es braucht einen natürlichen Konservierungsstoff.

Zurück zur Gesundheit: Solange Zucker als Auslöser für viele Volkskrankheiten nicht massiv reduziert wird, ist die Alkoholstrategie wohl ein Ablenkungsmanöver der WHO oder EU-Kommission. «Es ist wie mit allem: Die Dosis macht es aus», sagt Winzer Roland Lenz (Interview rechts). «Statistisch bewiesen ist, dass Abstinenzler und Alkoholiker kürzer leben als moderate Genusstrinker, die einen gesunden Lebensstil pflegen.»

(Gabriel Tinguely)


Entalkoholisierung

Mit immer raffinierterer Technik

Alkoholfreie Weine kommen immer näher an das Original.

Seit über 110 Jahren wird in Deutschland entalkoholisierter Wein durch die Destillation unter Vakuum hergestellt. Damit das Produkt möglichst nah an das Original herankommt, ist es wichtig, die Grundweine gezielt zu erzeugen. Ideale Voraussetzungen bieten fehlerfreie, aromatische Weine mit einem moderaten Alkoholgehalt sowie einem Säuregehalt von ein bis zwei Gramm pro Liter unter dem ­üblichen Wert.

Ethanol, der Alkohol im Wein, verdampft bei 78,3 Grad Celsius. Unter Vakuum geschieht dies bereits bei 30 bis 40 Grad. So lässt sich der Wein schonend entalkoholisieren. Dabei wird von oben Wein in eine Destillationskolonne geträufelt. Von unten eingeleiteter Dampf steigt auf und nimmt die flüchtigen Komponenten, hauptsächlich Alkohol, auf. Der alkoholfreie Wein verlässt die Kolonne im ­unteren Teil mit weniger als 0,5 Volumenprozent.

Ein zweites Verfahren erfolgt mit zwei hintereinander ­geschalteten Schleuderkegelkolonnen. Aufgebaut wie eine Zentrifuge trennen sich die Inhaltsstoffe des Weins nach ihrer Flüchtigkeit. Aromen, die flüchtiger sind als Alkohol, werden im ersten Durchgang aufgefangen und im zweiten Durchgang, nach dem Entalkoholisieren, dem alkoholfreien Wein wieder zugefügt.

Konzentration und Stilmittel

Durch den Entzug des Alkohols verringert sich die Menge um etwa 15 Prozent. Das hat einen Anstieg der Säure zur Folge. Deshalb die Empfehlung, mit säureärmerem Grundwein zu arbeiten. Mit dem Alkohol verliert der Wein auch an Körper und Fülle. Diese lassen sich mit Kohlensäure oder Mostkonzentrat ausgleichen. Mit einer aromatischen Süssreserve kann man dem alkoholfreien Produkt nachträglich eine gewisse Primäraromatik zurückgeben.

(gab)


Unternehmer mit Ideen

Dienstleistung für den Schweizer Weinmarkt

Marc Vicari will in der Romandie ein Kompetenzzentrum für alkoholfreien Wein aufbauen.

Der Marketingprofi Marc Vicari ist auch leidenschaftlicher Weinliebhaber. Ersten eigenen Wein produzierte er in seiner Garage. Später konnte er als Geschäftsführer der Domaine de la Ville de Morges in Morges/VD den nachhaltigen Weinbau fördern und innovative Marken entwickeln. Zuletzt arbeitete er für die Cave de La Côte in Tolochenaz/VD.

Marc Vicari hat erlebt, dass alkoholfreier Wein ein Bedürfnis ist. (zvg)

Aus gesundheitlichen Gründen durfte er im Jahr 2023 während mehrerer Monate keinen Alkohol trinken. Dies konfrontierte ihn mit einer neuen Realität: Was trinkt man, wenn man keinen Wein konsumieren darf? Denn Wein gehört zu gesellschaftlichen Anlässen wie Aperitifs oder Mahlzeiten einfach dazu – nicht nur in der Romandie. Also begann sich Marc Vicari für alkoholfreie Weine zu interessieren.

«Ich verkostete zahlreiche alkoholfreie Weine», sagt Marc Vicari. «Die meisten haben mir überhaupt nicht geschmeckt. Doch es gab darunter auch wahre Trouvaillen.» Kurz entschlossen schrieb er ein Konzept für ein Entalkoholisierungszentrum in der Schweiz, gründete die «la vigneronne – pleasure for everyone SA» und suchte sich Partner für deren Umsetzung.

Technischen Rückstand aufholen

«Für die Ernte 2026 werden die Infrastruktur aufgebaut und der Vakuumverdampfer installiert worden sein», stellt Marc Vicari in Aussicht. «Damit können wir in der Schweiz Wein entalkoholisieren und den technischen Rückstand gegenüber dem Ausland aufholen.» Bereits ab einer Produktionsmenge von 500 Flaschen werden Schweizer Winzerinnen und Winzer ihren Kunden dann alkoholfreie Weine anbieten können.

Mit an Bord ist IP-Suisse, die den ökologischen Leistungsnachweis für die Traubenproduktion erbringt. Fabio Penta von Œnologie à façon SA in Perroy/VD berät zahlreiche Winzerinnen und Winzer. Seine Firma stellt die Infrastruktur zur ­Verfügung. Die Fachhochschule für Rebbau und Önologie in Changins/VD begleitet das Projekt wissenschaftlich.

Erster Auftritt im Januar

Diese Woche lanciert La Vigneronne auf qoqa.ch zwei alkoholfreie Schweizer Weine. «Wir haben uns für einen Rosé de Gamay entschieden», sagt Marc Vicari. Beide Weine wurden von der Cave de La Côte vinifiziert, dann aber in Deutschland entalkoholisiert. «Wir starten mit dem stillen VIP und dem prickelnden LUX», freut sich Marc Vicari. «Die Weine werden in Bezug auf Qualität und Präsentation neue Massstäbe setzen.»

(gab)


Winzer mit Weitblick

«Die Frage nach dem mit oder ohne kommt gut an»

Die ersten alkoholfreien Schweizer Weine gehören unbedingt ins Getränkeangebot.

Als Winzer verkosten Sie regelmässig Wein. Wie gehen Sie damit um?
Als Winzer verkosten wir täglich und mit Begeisterung Wein. Heute sind dies fast nur noch Bioweine. Bei den eigenen verfolgen wir deren Entwicklung – vor allem im Jungweinstadium. Da wir einen Mittagstisch für unser Team haben, verkosten wir zu jedem Mittagessen Wein und diskutieren darüber, was auch Weiterbildung ist. Wenn wir im Keller verkosten, spucken wir natürlich.

Legen Sie alkoholfreie Tage oder gar Wochen ein?
Tage, ja. Meine Leberwerte sind  eins a. Meine Frau Karin und ich trinken oft abends noch ein Glas Wein. Wir schätzen, dass Karin im Durchschnitt etwa einen Deziliter und ich knapp zwei Deziliter Wein pro Tag als Genusstrinker konsumieren.

Spüren Sie den Einfluss von Alkohol auf Ihren Körper?
Wir spüren, dass uns Weine mit viel Alkohol weniger schmecken. Wir geniessen Weissweine mit 10 bis maximal 12 oder Rotweine mit höchstens 13 Volumenprozent Alkohol. Wir produzieren bei uns eher alkoholarme Weine. Nicht nur der Alkohol lässt einen Wein «zähflüssig» erscheinen und hinterlässt Nachwehen. Es gibt noch andere Inhalts- und Hilfsstoffe, die das beeinflussen.

Roland Lenz ist Bio-Winzer und Piwi-Pionier in Uesslingen/TG. (zvg)

Sie produzieren auch alkoholfreie Weine. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Wenn ich nach Anlässen Auto fahren muss, suche ich nach alkoholfreien Varianten. Und natürlich weil Caterer und Gastronomen nachfragen.

Welche Technik kommt zum Einsatz?
Wir verwenden nur aromatische Piwi-Traubensorten, die von Natur aus nicht viel Alkohol produzieren. Den Alkohol filtern wir mittels Membrantrennverfahren heraus. Das hat den Vorteil, dass wir den Wein nicht erhitzen müssen.

Wie reagieren die Kunden?
Wer zu Hause Wein geniesst, reagiert eher skeptisch. Junge urbane Menschen sind offener. An Anlässen mit vielen Teilnehmenden kommt die Frage: Wollen Sie ein Glas Wein «Mit» oder «Ohne»? gut an. Gerade jetzt, wo die ersten alkoholfreien Weine aus der Schweiz kommen, sollten diese unbedingt ins Konzept aufgenommen werden.

Wie schätzen Sie den Markt und dessen Entwicklung ein?
Wir denken, dass zehn bis zwölf Prozent des Weinmarkts alkoholfrei wird.

(gab)


Zur Person

Der Visionär hat auf seinem Bio-Weingut in Uesslingen/TG früh begonnen, pilz­widerstandsfähige Neuzüchtungen, sogenannte Piwi-Reben, zu pflanzen, die nicht oder nur minimal mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden müssen. In den Bereichen Nachhaltigkeit und Biodiversität wurde er mehrfach ausgezeichnet.


Amesco Rosé 

Cabernet Jura und Muscat Bleu ergeben einen in­tensiv rotbeerigen Wein. Am Gaumen folgen auf die kräftige Säure Noten von Johannisbeere, Himbeere und Sauerkirsche. Steht einem Rosé mit Alkohol in nichts nach.

Amesco Barrique 

Der aromatische Wein aus Muscaris-Trauben steckt voller Überraschungen. Zur intensiven Frucht (Zitrone, Kumquat, Mirabelle und Aprikose) kommt eine dezente Vanille-Note. Kräftig am Gaumen mit langem Nachhall.

Grüner Veltliner

Der alkoholfreie Grüne Veltliner stammt vom Urgestein und Lössterrassen. Er ist ein perfekter Vertreter aus dem Kremstal, dem Tor zur Wachau. Die Fruchtaromen reichen von Apfel, Birne, Quitte bis hin zu Marille und entfalten ihre volle Aromatik feiner Exotik mit einem Hauch von Wiesenkräutern.

The Zero Rosé

Dieser fein perlende Rosé-Schaumwein überzeugt mit seiner exotischwürzigen Frucht und mit Aromen von Aprikosen, Äpfeln und reifen Trauben. Er präsentiert sich elegant in fruchtigem Zartrosa. Gekeltert wird er ganz neu aus Trauben von österreichischem Blaufränkisch.

VIP und LUX 

VIP steht für Very Inclusive Pleasure und ist ein erfrischender Rosé. LUX, Living Unique Xperiences, die prickelnde Variante, verspricht Trinkgenuss ohne Einschränkung für alle Lebenssituationen.


Mehr Informationen unter:

lavigneronne.ch

weingut-lenz.ch