Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

«Heimen und Spitälern gehen Fachkräfte aus»

Die Gemeinschaftsgastronomie ist von der Corona-Krise stärker gebeutelt als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt Christian Schilling in einer Umfrage.

Christian Schilling ist Verkaufsleiter bei Gertsch Comestibles in Thun. (ZVG)

Christian Schilling, in den vergangenen Monaten befragten Sie 84 Küchenchefs von Spitälern und Heimen nach den Auswirkungen der Corona-Krise. Was sind die Schlüsselerkenntnisse?
Die befragten Küchenchefs in der Care-Gastronomie erzählten mir von vielen Stellenwechseln in ihren Küchen während der Corona-Krise. Erstaunlich sind die Zahlen der Personen, welche die Branche aufgrund der Krise verlassen haben. Genau sind es 51,4 Prozent.

Sind das mehrheitlich Fachkräfte?
Ja, aus dem mittleren Kader, also Köche, Chefs de partie und Sous-chefs. Da sich viele Mitarbeitende des mittleren Kaders in der Corona-Krise haben umschulen lassen, verstärkt sich der Fachkräftemangel. Rund 25 Prozent der offenen Lehrstellen in der Kochbranche sind nicht besetzt. Dadurch wird sich der Fachkräftemangel weiter verschärfen.

Jede zweite Fachkraft, die gekündigt hat, verlässt die Branche. Wohin?
Die von mir befragten Küchenchefs haben sich das auch gefragt und festgestellt, dass viele ins Gesundheitswesen oder in die Fitnessbranche gewechselt haben.

Müssen nun vermehrt Hilfskräfte für die Heim- und Spitalküchen herangezogen werden?
Ich bin der Meinung, dass Hilfskräfte in den Spital- und Heimküchen für gewisse Arbeiten unentbehrlich sind. Hilfskräfte werden aber im Verhältnis zu den Fachkräften bald die Mehrheit ausmachen. Das ist ein Problem. Hilfskräfte benötigen eine gewisse Zeit zum Einarbeiten, zum Koordinieren oder müssen auch überwacht werden. Diese Zeit fehlt an den meisten Orten. Ein weiteres Problem ist, dass Hilfskräfte oft aus dem Ausland stammen und es schwierig ist, sich mit ihnen zu verständigen.

Hilfskräfte einzustellen, löst also nicht das Problem.
Nein.

Worauf muss sich der ­Küchenchef in der Gemeinschaftsverpflegung in Zukunft konzentrieren? Und welche Arbeiten muss er allenfalls outsourcen?
Ich denke, die Abläufe in den Küchen müssen noch besser optimiert werden, zum Beispiel mit dem Einkauf von veredelten, halbfertigen Produkten, die speziell für den Betrieb produziert werden. Wir haben uns in der Thuner Manufaktur in den letzten 28 Jahren auf diesen Bereich spezialisiert und stetig zusammen mit unserer Kundschaft weiterent­wickelt. Täglich geben uns die ­Küchenchefs ihr Feedback, so dass wir dies bei Neuentwicklungen sofort einfliessen lassen können. Küchenchefs, die sich in nächster Zukunft keine Gedanken über dieses Thema machen, werden langfristig mit Engpässen zu kämpfen haben.

Besteht dadurch nicht die Gefahr, dass das Kochhandwerk in der Care-Küche langfristig verloren geht?
Ganz bestimmt wird sich hier ­einiges ändern, denn den Küchenchefs fehlt bald die Zeit, ihr komplettes Fachwissen weiterzugeben. Und es wird in nächster Zeit extrem an Fachkräften fehlen, was die Arbeit auch nicht vereinfacht.

Was muss in der Grundaus­bildung angepackt werden?
Ich bin überzeugt, dass sich der Koch in Zukunft mehr auf das Finishing und weniger auf die Herstellung von Speisen konzentrieren muss. Die Fachkommission beschäftigt sich zurzeit gerade mit diesem Thema, um ein neues Berufsfeld zu kreieren.

«Eine intakte Heimküche hat immer eine Chance.»


Hat die eigenständige Heim­küche überhaupt noch eine Überlebenschance? Oder überlassen wir das Feld den Grossen wie SV Group, ­Compass Group und ZFV?
Eine intakte Heimküche mit guter Führung und einem guten Mix an Fachpersonal und Hilfskräften hat immer eine Überlebenschance. Vorausgesetzt, dass der Budgetdruck mit den Warenkosten nicht stetig steigt.

Noch ein Wort zum Nachwuchs. In einer Umfrage 2011 kamen Sie zum Schluss, dass die Gastrobranche Probleme mit dem Nachwuchs bekommt, nicht aber der Care-Bereich.
Damals wurde ich belächelt und heute sieht es noch schlechter aus. Wie bereits betont, kämpft heute sogar die Care-Gastronomie um Nachwuchs. Wo früher sechs bis acht Schnupperlehren übers Jahr absolviert wurden, sind es heute lediglich eine bis zwei, woraus sich meist nicht einmal eine Lehrstelle ergibt.

(Interview Jörg Ruppelt)


Zur Person

Der gelernte Koch und Konditor-Confiseur arbeitet seit 2015 als Verkaufsleiter Region Ost bei Comestibles- und Gourmetservice Fritz Gertsch AG in Thun/BE. Vor seinem Wechsel in die Zulieferbranche war Christian Schilling unter anderem stellvertretender Küchenchef bei den UBS Direktionsrestaurants und im Hotel Guarda Val, Lenzerheide/GR. Später wechselte er als Kadermitarbeiter ins Asana Spital in Leuggern/AG. Er war als ÜK-Instruktor und als Prüfungsexperte für ­Lernende und Chefköche tätig.