Als am 17. September 1999 das Restaurant Blindekuh in Zürich eröffnete, war das eine Weltneuheit. Heute ist das Dunkelrestaurant ein Musterbeispiel für gelebte Inklusion.
Pro Jahr besuchen bis zu 30 000 Gäste das Restaurant Blindekuh an der Mühlebachstrasse 148 in Zürich. Doch kein Gast weiss, wie es im Lokal aussieht. Denn das Licht wird ausschliesslich für das Reinigungsteam eingeschaltet.
Das «Blindekuh» in Zürich war das erste Restaurant weltweit, in welchem Gäste ihr Essen in absoluter Dunkelheit einnehmen. In die Finsternis geführt und dort bedient werden sie von sehbehinderten oder blinden Servicemitarbeitenden. Das Konzept fand so viele Nachahmer, dass der Duden den Begriff Dunkelrestaurant im Jahr 2011 offiziell in den deutschen Wortschatz aufnahm.
Das Erlebnis, für die Dauer einer Mahlzeit selbst blind zu sein, ermöglicht es den Gästen, etwas Alltägliches wie die Nahrungsaufnahme neu zu erleben: Von der Schwierigkeit, im Dunkeln etwas auf die Gabel zu bekommen bis hin zu intensiverem Erleben von Geräuschen und Geschmäcken.
«Als Koch reizt mich der Gedanke, dass die Gäste auf das Riechen und Schmecken eingeschränkt werden. Das birgt ganz neue Herausforderungen», sagt Daniel Candaten. Er ist seit Sommer 2023 Küchenchef im «Blindekuh».
Als Beispiel nennt der Küchenchef die Präsentation des Essens: «Ein schönes Farbspiel auf dem Teller bringt bei uns nichts. Dafür sorgt eine knusprige Komponente, wo man vielleicht keine vermutet, für ein Aha-Erlebnis.»
Aktuell bietet das «Blindekuh» zwei Surprise-Menüs an, eines mit Fleisch und ein vegetarisches. Zudem gibt es eine kleine, monatlich wechselnde Speisekarte sowie ein spezielles Menü pro Tag für das «Table for Two»-Angebot. «Wir verwenden für jedes Gericht einen unterschiedlichen Teller. So erkennen die Servicemitarbeitenden, um welches Gericht es sich handelt», erklärt Daniel Candaten.
Neben einem intensiveren Erleben von Geschmäcken und Konsistenzen erhalten auch Gespräche mit Tischnachbarn und Servicemitarbeitenden im Dunkeln eine andere, oft tiefere Qualität.
Der Wechsel der Gäste von der Welt des Lichts in die Welt der Dunkelheit weckt Verständnis für die Belange von Menschen mit Sehbehinderungen. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die «Blindekuh» ermöglicht auch sehbehinderten und blinden Menschen einen Perspektivenwechsel. Einen, der ihrem Selbstwertgefühl guttut. Jürg Spielmann, Gründungsmitglied der Stiftung «Blindekuh» und selber blind, freut sich: «Für einmal sind nicht wir jene, die etwas nicht können. Im Dunkeln sind wir ganz klar die Experten.»
(Rriccarda Frei)
Im «Blindekuh» arbeiten 58 sehende, sehbehinderte und blinde Mitarbeitende. Dies zu marktüblichen Löhnen. Lachs ist von der Karte gestrichen, weil sich auf seiner Haut ungefährliche lumineszierende Bakterien befinden, die im Dunkeln leuchten. Es gibt keine Serviertabletts. Ihr Einsatz ist im Dunkeln zu gefährlich. Teller, Gläser und Flaschen werden einzeln von Hand getragen. Es gibt einen Aufenthaltsraum für die Blindenführhunde der Mitarbeitenden. Der Dinner-Krimi «Blind vor Wut» wird unter anderem am 30. Oktober im «Blindekuh» aufgeführt und wurde von Peter Denlo extra für dieses Restaurant geschrieben.