Genossenschafterinnen und Genossenschafter, die gemeinsam einen Betrieb leiten, tun dies mit viel Elan – und klaren Hierarchien.
In einer Aktiengesellschaft (AG) ist der Fall klar. Die Stimmen derer, die am meisten Aktien haben, haben bei Abstimmungen auch mehr Gewicht. Bei einer Genossenschaft sieht es ein wenig anders aus. Hier hat jedes Mitglied eine Stimme, unabhängig von der Anzahl der Aktien. Und noch etwas unterscheidet die Genossenschaft stark von der Aktiengesellschaft: Gewinne fliessen nicht an die Genossenschafter, sondern wieder in die Genossenschaft selbst. Damit soll sie ihren Mitgliedern im Gegensatz zur AG keine Vorteile durch Gelderträge bringen, sondern durch ihre Tätigkeit. Das Geld bleibt im Geschäft und kann etwa für höhere Löhne oder eine bessere Infrastruktur verwendet werden. Doch wer entscheidet eigentlich, wofür das Geld ausgegeben wird und wer wie viel Geld erhält?
Felix Epper, Geschäftsleitungsmitglied und Vorstandsmitglied der Genossenschaft Kreuz in Solothurn, muss es wissen. Er ist schon seit 19 Jahren Teil der 1973 gegründeten Genossenschaft, die ein Restaurant betreibt und auf zwei Stockwerken 13 Hotelzimmer vermietet.
Als er zum «Kreuz» dazustiess, befand sich dieses gerade kurz vor dem finanziellen Ruin. Daher entschieden sich die Genossenschafter, einige Dinge umzukrempeln. «Seither sind unsere Tätigkeiten klar geregelt. Für die operative Führung des Tagesgeschäfts beispielsweise ist die Geschäftsleitung zuständig. Diese besteht aus den Bereichsleitern der einzelnen Betriebe», sagt Epper. Durch die Schaffung einer Geschäftsleitung habe die Genossenschaft an Effizienz gewonnen und sei zudem wirtschaftlich agiler geworden. Dies nicht zuletzt, weil seit den 2000er-Jahren auch juristische Personen Genossenschafter werden können und nicht nur Mit-
arbeitende.
Längerfristige, strategische Entscheide werden allerdings nach wie vor von allen aktiven Genossenschaftern gemeinsam gefällt. Allerdings versuchen die Genossenschafterinnen und Genossenschafter auch hier, möglichst effizient zu agieren, wie Epper berichtet. «Strittige Themen werden in Arbeitsgruppen vorbereitet, bevor sie an der Genossenschaftssitzung zur Abstimmung kommen.»
Was genau bei solchen Abstimmungen die häufigsten Streitpunkte sind, möchte Epper nicht im Detail benennen. Generell sei es wohl die Diskrepanz, die manchmal zwischen Anspruch und Wirklichkeit herrsche. Daher sei Kommunikation das A und O. Besonders, da neue Genossenschafter oft überfordert seien mit der Komplexität eines Unternehmens mit 3,5 Millionen Umsatz und 50 Angestellten.
Jene, die nicht nur der Genossenschaft beitreten, sondern auch im operativen Geschäft mitanpackten, identifizierten und befassten sich meist mehr mit dem Betrieb, sagt Epper. Allerdings sei es keine Pflicht, als neuer Mitarbeitender auch Genossenschafter zu werden. «Beim Bewerbungsgespräch wird darauf kurz eingegangen. Für eine Anstellung wird aber keine Bereitschaft zur Mitgliedschaft verlangt.» Sogar bei den Bereichsleitern habe es schon Ausnahmen gegeben.
Epper kann nachvollziehen, warum ein Geschäftsleitungsmitglied der Genossenschaft nicht beitreten möchte. «Auf struktureller Ebene sind die Genossenschafter gleichrangig. Dass sie im operativen Alltag mit Hierarchien umgehen und Weisungen entgegennehmen müssen, ist nicht immer einfach. Es ist ein ‹Spagat›, gleichzeitig Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu sein».
(Désirée Klarer)