«Andere liefern nur, wir erzählen Geschichten»

Mit viel Gespür hat Tiziano Marinello das gleichnamige Zürcher Familienunternehmen weiterentwickelt. Ein Gespräch zu ungewöhnlicher Stunde.

Tiziano Marinello, wer Sie zum Interview im Zürcher Engrosmarkt treffen will, muss früh aufstehen.
Ja, gerne wie heute um fünf Uhr. Ich bin ab vier Uhr im Büro. Früher habe ich sogar um 20 Uhr, 22 Uhr oder Mitternacht mit der Arbeit im Engrosmarkt begonnen. 

Heisst das, Sie gehen am Abend sprichwörtlich mit den Hühnern ins Bett?
Ich schlafe am Tag zweimal. Nachts vier bis fünf Stunden und Nachmittags noch mal ein bis zwei Stunden. Ich möchte ja auch noch ein soziales Leben führen und Gastronomen besuchen.

Stimmt es, dass sich Ihr Nachname von «marinaro» ableitet, was auf ein Piratengeschlecht hindeutet?
Mein Vater legt derzeit unsere Familiengeschichte neu auf. Er sagt: «Se non è vero è ben trovato», auf Deutsch: «Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.» Zumindest unser Familienwappen deutet auf Seefahrer hin. 

Tiziano Marinello: Vollbluthändler mit Flair für gute Produktgeschichten. (zvg)

Sie haben 2012 von Ihrem Vater Daniele und Ihrem Onkel John die Marinello-Aktienmehrheit übernommen. Was haben Sie neu aufgegleist?
Zunächst hatte ich erst einmal wahnsinnig viele Schulden (schmunzelt). Und ich hatte nie das Gefühl, Besitzer zu sein. Ich habe mit viel Geduld aus einem «altmödigen Gmüeshändler» für die gesetzte Gastronomie einen Händler für die junge und trendige Szenegastronomie gemacht.

Sie haben 2019 Ihren Stand im Engrosmarkt komplett umgebaut, warum?
Wir wollten einfach etwas Neues. Was wir an unserem Stand heute zeigen, sind Spezialitäten und Tiefkühlprodukte wie Kräuter und Micro-Greens. Das Styling ist à la «Hinterhof in New York», ein bisschen dunkel mit dem Holzhäuschen. Für Aussenstehende vordergründig unvernünftig, aber für uns richtig geil.  

Sie sind in erster Linie Direktlieferant. Wie viele Gastrobetriebe gehören zu Ihren Kunden?
Stand heute sind es insgesamt 900. Davon 350, die drei bis vier Mal wöchentlich bestellen.

Wollen Sie weiterwachsen?
Wir sind wahnsinnig vorsichtig, wenn es um Wachstum geht. Auf keinen Fall auf dem Rücken der Mitarbeitenden und der bestehenden Kundschaft.

Sind Sie immer noch im Grossraum Zürich unterwegs?
Ja, wir liefern an Betriebe mit Standort bis zu maximal einer Stunde ab Zürich, also bis nach Luzern und Schaffhausen. Ich will vor allem lokale Produkte aus unserem Farm-Netzwerk liefern. Bis nach Chur macht das keinen Sinn.

Farm-Netzwerk?
Das Farm-Netzwerk sind Produzenten mit einer durchschnittlichen Distanz von 23 Kilometern bis in die Stadt Zürich. Diese Produzenten beliefern zwar auch andere Händler, aber Marinello ist der Einzige, der die Geschichten zu den Produkten erzählt.

Ihre Online-Marktberichte lesen sich spannend und süffig. Wer schreibt die eigentlich?
Ich. Mit grossem Vergnügen.

Was lief bei Ihnen in der ersten Jahreshälfte besonders gut?
Schweizer Spargeln, unter anderem vom Schmitterhof in Diepoldsau/SG. Wir haben noch nie so viel davon verkauft wie dieses Jahr. Und was super läuft sind Kohlsorten aus dem Permakultur-Garten von Esther Rathgeb in Oberstammheim/ZH. Von dort beziehen wir auch den Flamingo-Gemüsebaum.

Kann man den essen?
Ja, die Blätter und kleinen Äste schmecken wie Poulet. Und dann die Oberstammheimer Taglilien ...

... Taglilien?
Ja. Die geschlossenen Blüten sind knackig, erbsig und dann je nach Sorte zitronig oder pfeffrig. Im Salat oder Dessert sind die der Wahnsinn!

(Jörg Ruppelt)


Zur Person

Tiziano Marinello leitet mit den Co-Geschäftsführern Max Marinello und Christian Körting die Marinello & Co. AG. Die Firma beliefert seit über 100 Jahren Gastrobetriebe mit Früchten, Gemüse, Spezialitäten, Molkereiprodukten und Tiefkühlware. Die Marinello & Co. AG beschäftigt 85 Mitarbeitende, die täglich mit 25 Touren in der Region in und um Zürich unterwegs sind.


Mehr Informationen unter:

marinello.ch