Es hat sich viel getan auf Schweizer Autobahnraststätten. Neue, helle, freundliche Anlagen überzeugen mit Hausgemachtem und Nähe zu Natur. Selbst der Pipi-Stopp wird da zum Erlebnis.
Vor der neuen Raststätte bei Erstfeld donnern Autos und Lastwagen Richtung Tessin. Auf der Rückseite des Gebäudes, wo sich die Terrasse mit 200 Sitzplätzen befindet, fliesst die Reuss durch eine Auenlandschaft. Statt Motorenlärm hört man hier Vogelgezwitscher.
Die Raststätte auf der Südspur der Gotthard-Autobahn ist am 31. Mai 2018 offiziell eröffnet worden. In nur neun Monaten Bauzeit entstand ein modernes Gebäude, das mit seiner Architektur überzeugt. Elegant und doch bodenständig, funktionell, offen, grosszügig, natur- und traditionsverbunden – so lässt sich der Neubau beschreiben. Er gehört zu einer neuen Generation von Autobahngastronomiebetrieben. Diese setzen auf regionale Materialien und Produkte, à la minute zubereitete Speisen und hausgemachte Spezialitäten, ein breites Serviceangebot sowie ansprechendes Design. Die Zeiten, in denen man Autobahnraststätten nur aufsuchte, wenn Hunger und Harndrang zu gross wurden, sind vorbei. Heute sind sie gastliche Stätten, wo es sich angenehm rasten lässt.
«Der Neubau wurde im Stil der traditionellen Urner Ställe errichtet», erklärt der Architekt Daniel Lischer. Von aussen betrachtet, sieht die Gotthard Raststätte fensterlos aus. Doch das täuscht. Die Holzbalken der Fassade sind so angebracht, dass sie als Sonnenschutz für die grossen, dahinterliegenden Glasfronten dienen. Gleichzeitig lassen sie es zu, dass viel Licht in die Räume gelangt und der Blick in die Natur frei bleibt. Das noch helle Holz wird mit den Jahren in der Sonne nachdunkeln. Ein gewollter Effekt, der die Verbundenheit mit der Natur, der Region, ihrer Kultur und Geschichte unterstreicht. In diesem Sinne begrüsst Wilhelm Tell in der Eingangshalle die Gäste. Als geschnitzte Skulptur, zu deren Füssen man sich mittels Knopfdruck Tells Geschichte in verschiedenen Sprachen erzählen lassen kann, aber auch in persona. Dazu schlüpft ein Student in die Rolle des Volkshelden und betreut die Gäste. Er gibt Auskünfte und Ausflugstipps, verteilt Kostproben lokaler Produkte, die es im Shop zu kaufen gibt, macht mit den Besuchern Selfies und lässt sie mit einer Kinderarmbrust auf Kartonäpfel schiessen.
«Wir wollen Teil des Ferienerlebnisses sein», sagt Barbara Wirz, Verwaltungsratspräsidentin der Gotthard Raststätten A2 Uri AG. Autofahrer sollen die Raststätte bewusst als lohnenswertes Etappenziel in ihre Reise einplanen.
Allein auf Durchreisende möchten man sich nicht verlassen. Auch die lokale Bevölkerung soll die Raststätte frequentieren. Deshalb wurde der Zaun entfernt, der die Raststätte von den Reuss-Auen und dem dort entlangführenden Wander- und Veloweg trennte. Zudem wurde der Aussenbereich der Raststätte mit einem in die Landschaft integrierten Spielplatz aufgewertet. Nun haben die Familien der Region ein neues, bequem erreichbares Ziel für ihren Sonntagsspaziergang.
Die Ausrichtung auf Passanten und Einheimische zeigt sich auch bei der kulinarischen Angebotsgestaltung. Zwar muss der Service wie auf allen Autobahnraststätten rasch gehen, doch der Genuss soll dabei nicht auf der Strecke bleiben. Neben einem Kaffeeautomaten für ganz Eilige gibt es zum Beispiel auch eine Kaffee-Lounge, in der man gemütlich Spezialitätenkaffees trinken kann.
Die früheren Buffets zum Selberschöpfen wurden durch Front- Cooking-Stationen abgelöst. An der einen werden Pastamenüs à la minute zubereitet, an der anderen asiatische Gerichte und Currys. Salate, Snacks und Kuchen sind auf Buffetinseln im Freeflow-Bereich platziert. Das Angebot umfasst viele regional hergestellte Produkte und wird durch exklusive, hausgemachte Spezialitäten abgerundet. Ein Beispiel dafür ist «Tells Apfelrose», ein saftiger Kuchen in Form einer Rosenblüte. Ihrem Motto entsprechend «überraschend anders» versucht sich die Gotthard Raststätte mit vielen Kleinigkeiten und Extras von den Mitbewerbern abzuheben.
Für Kleinkinder gibt es beispielsweise auf einer der Foodinseln eine Baby-Bar. Sie bietet eine breite Auswahl an Hipp-Babynahrung in Gläschen. Selbst wer nur kurz einen Pipi-Halt einlegt, wird überrascht. Und zwar von der WC-Anlage. Die Toiletten und Duschen sind nicht, wie auf Raststätten sonst üblich, ebenerdig oder im Keller untergebracht, sondern im ersten Stock. Die an bäuerliche Plumpsklo-Häuschen erinnernde Kabinen sind grosszügig und locker im Raum verteilt, so dass auch hier der Blick in die Bergwelt kaum verstellt ist und ein «Dörfli-Feeling» entsteht.
Mit Naturnähe wird auch auf der Gotthardsüdseite für eine Autobahnraststätte geworben. Im Mai ist in Bellinzona auf der Süd- und auf der Nordspur je ein Marché- Restaurant eröffnet worden.
Wie in Erstfeld wurden auch in Bellinzona die bestehenden Gebäude abgerissen und innert weniger Monate durch Neubauten ersetzt. Und auch die Tessiner haben dabei viel mit einheimischem, natürlichem Material gearbeitet. So besteht der Boden der Restaurants in Bellinzona aus Granit aus dem Onsernonetal. In Erstfeld ist er aus Kies aus der Reuss gemacht.
Beim Gastronomiekonzept ist Marché seinem bewährten Stil mit Marktplatz-Ambiente und Front-Cooking treu geblieben. Allerdings wurde das Angebot etwas dem aktuellen Zeitgeist angepasst. So wurden beispielsweise Street- Food-Elemente eingeführt und die Portionen verkleinert. «Wir haben festgestellt, dass die Gäste kleine Portionen bevorzugen. Unter anderem, weil sie gerne möglichst viel Verschiedenes probieren wollen», sagt Monica Danuser, Communications Manager der Marché- Restaurants Schweiz AG. In den nächsten Jahren soll das neue Marktplatzkonzept auf alle Marché-Restaurants in der Schweiz ausgeweitet werden.
Während die Gotthard Raststätte sich als Ausflugsziel etablieren kann, hat die Autobahnraststätte Bellinzona das Potenzial, ein Ziel für Kurzferien zu werden. Das Hotel Bellinzona Sud ist komplett renoviert worden und besonders für Familien, Wanderer und Velofahrer interessant, da Wander- und Velowege quasi vor der Haustüre beginnen. Das Haus verfügt über Zimmer mit bis zu sechs Betten, eine Fahrradverleihstation mit Werkstatt sowie abschliessbare Stellplätze. Diese sind für Gäste gedacht, die ihr eigenes Bike mitbringen.
(Riccarda Frei)
Gotthard Raststätte (A2)
Im Sommer arbeiten 140 Angestellte in der Raststätte, im Winter etwa 100. Pro Jahr machen 1,5 Millionen Gäste hier halt und konsumieren über 77 000 Nussgipfel (siehe Artikel).
Bellinzona (A2)
Die Raststätten Bellinzona Nord und Süd werden von der Gastronomiekette Marché betrieben. Zur Raststätte gehört auch ein Hotel (siehe Artikel).
Grauholz (A1)
Die A1 Hotel Restaurant Grauholz AG in Ittigen bei Bern betreibt eine Raststätte mit Café-Bar, Selbstbedienungsrestaurant, bedientem Restaurant mit Terrasse, Hotel mit drei Seminarräumen, Shop und Bäckerei. Diese stellt das Brot für den Eigenbedarf her und hat sich auf Motivtorten spezialisiert, die über einen Online-Shop verkauft werden. Generell wird im «Grauholz» viel selber gemacht. Unter anderem die Pasta. «Wir fangen an, andere Betriebe mit unseren Produkten zu beliefern. Bei den Torten bestehen bereits entsprechende Partnerschaften», sagt Grauholz-Direktor Rolf Biedermann. Das «Grauholz» wird das ganze Jahr über täglich von 1500 bis 2000 Gästen besucht und bietet 100 Gastronomiestellen.
Rheintal Ost (A13)
Die Raststätte Rheintal Ost ist im November 2017 eröffnet worden. Sie liegt zwischen Buchs und Sevelen und verfügt über eine Bäckerei, Pasteria, Hamburgeria und Pizzeria. Produziert wird vor dem Gast. «Wenn möglich, verwenden wir Nahrung ohne Zusatzstoffe und Produkte aus der Region. Das Fleisch für die Burger kommt aus Graubünden, der Hartweizengriess für unsere Pasta aus Grabs», sagt Peter Hofstetter, CEO der Gruppe Thurau. Diese Gruppe betreibt auch die Raststätten Thurau (A1), Walensee (A3) sowie Hörbranz (A14) in Österreich. Eilige können ihre Bestellung im Voraus über eine Take-away-App aufgeben. Das Georderte wird frisch zubereitet und zum gewünschten Abholzeitpunkt bereitgestellt.
St. Margrethen Süd (A13)
Nach einem aufwendigen Umbau hat Autogrill am 16. Juli die Raststätte St. Margrethen Süd wiedereröffnet. Neben einem Counter- Service-Restaurant mit Grillspezialitäten und hausgemachten Desserts sowie einem Shop verfügt die Raststätte neu auch über ein Burger-King-Restaurant.