An Martin Amstutz’ Sieg an den Swiss Skills gab es nichts zu rütteln. Doch auch Noah Rechsteiner darf sich als Sieger fühlen.
Für einen kurzen Augenblick verschlägt es Moderator Sven Epiney die Sprache. Die Juroren blicken sich an, ihre Mimik wechselt sekündlich. Entsetzt, erstaunt. Bewundernd, belächelnd. Zweifelnd, fragend. Man blickt sich an. Versucht herauszufinden, wie der andere denkt. Aber so geht es jedem.
Soeben hat Noah Rechsteiner, Swiss-Skills-Kandidat in der Kategorie Küche, die fertigen Komponenten seines Desserts wuchtig auf den Teller geknallt. Schokoladenbiskuit, Passionsfrucht, Kakaopulver, Sauerrahm, Meringue, Schokoladenmousse. «Ich glaubte erst an einen Tobsuchtsanfall», erzählt Sven Epiney. Es war keiner. Die Tat war von langer Hand geplant, Noah Rechsteiner deckte davor die gesamte Arbeitsfläche ab, um sie vor den Spritzern zu schützen.
Aber was war denn das? Solch eigenwillige Kreationen sind in der Welt der Kochwettbewerbe nicht üblich. «Spannend, aber nicht in diesem Rahmen», kommentierte ein Juror. Noah Rechsteiner aber war sich seiner Sache sicher.
Der Kreativkopf, der seine Kochlehre im Zürcher Fünfsternehotel Widder diesen Sommer abschloss, folgte der Maxime der deutschen Hip-Hop-Gruppe «Die Fantastischen Vier» aus dem legendären Rap «MfG»: «Bevor wir fallen, fallen wir lieber auf.»
«Ich wusste, dass Martin Amstutz ein praktisch unschlagbarer Konkurrent ist», erklärt Noah Rechsteiner. «Er ist ein erfahrener Wettbewerbskoch. Akribisch, besessen, beeindruckend. Und bei diesen Wettbewerben interessiert sich niemand für den Zweitplatzierten. Nur der Erste profitiert.» Also wollte er auffallen, provozieren.
«Aber mir war wichtig, dass es nicht einfach eine plumpe Provokation ist. Die Qualität musste stimmen.» Und so kreierte er vorderhand eine technisch perfekte Torte. Eine geschmacklich und sensorisch hervorragende Umsetzung. Kein Luftbläschen in der vorgeschriebenen Glasur. Dann der einstudierte Tobsuchtsanfall. «Da liess ich mich natürlich von Massimo Botturas ‹Oops, I Dropped the Lemon Tart› inspirieren.» Das weltberühmte Dessert des italienischen Starchefs entstand einst, als ein Kellner den Teller fallen liess.
Während Martin Amstutz seiner Favoritenrolle gerecht wurde und bei den Swiss Skills Schweizer Meister in der Küche wurde, scheiterte Noah Rechsteiner bereits im Viertelfinal. «Das lag aber nicht am Dessert», weiss der 18-Jährige. «Mir unterliefen davor schon ein paar Fehler. Meine Falafelkugeln waren schwarz und beim Biskuit hatte ich ein Problem mit dem Ofen.»
Dennoch darf sich auch Noah Rechsteiner als Sieger fühlen. Von mehreren Spitzenköchen erhielt er positives Feedback. Moritz Stiefel, der ambitionierte Chef des Luzerner Restaurants Stiefels Hopfenkranz, lobte: «Ich finde es toll, wenn ein Koch ausserhalb der Norm denkt und nicht alles gleich macht wie die anderen. Solche Leute braucht die Branche. Köche, die über den Tellerrand hinaus denken.» Über jenen Tellerrand, der in der klassischen Gastronomie und in der Welt der Kochwettbewerbe sauber sein und dem Gast gehören soll. Und nicht verspritzter Teil eines Klecker-Kunstwerks ist.
Auch von seinem Lehrer der Allgemeinen Berufsschule Zürich sowie von seinem einstigen Lehrmeister im «Widder» erhielt Noah Rechsteiner Zuspruch für die mutige Aktion. Das Jungtalent findet: «Ich wollte zeigen: Als Koch gibt es keine Grenzen. Das ist mir gelungen.» Als Koch sehe er sich nicht nur als Handwerker, sondern auch als Künstler. «Damit meine ich nicht nur kunstvoll präsentierte Gerichte, sondern auch die Kunst, mit den Menschen umzugehen, mit denen man sich täglich umgibt.» Sein Künstler-Idol in der Küche ist Stefan Wiesner, der Hexer aus dem Entlebuch.
Nach der intensiven Vorbereitungszeit auf die Swiss Skills gönnt sich Noah Rechsteiner eine Auszeit. Vier Monate reist er durch Asien. «Ich will mich inspirieren lassen. Es wird meine Findungsphase.» Wohin es ihn danach treibt, steht allerdings bereits fest: Unmittelbar vor der Abreise erhielt er vom Restaurant Koks, dem ersten und bislang einzigen Michelin-Restaurant auf den Färöer-Inseln, den Zuschlag für ein achtmonatiges Praktikum.
Man darf gespannt sein, wohin die berufliche Reise des Mitglieds des Schweizer Kochverbands führt. Klar ist für Rechsteiner nur: «Ich will immer Koch bleiben. Ich habe die Berufswahl noch keinen Tag bereut. Menschen glücklich zu machen, ist doch das Schönste.»
(Benny Epstein)