Erfolgsfaktor Mental Health

Das diesjährige Forum für Lernende auf der Lenzerheide/GR stand unter dem Motto «Take care».Die Jugendlichen erhielten Tipps zur Pflege ihrer mentalen Gesundheit, die auch Ältere kennen sollten.

Jeder dritte Jugendliche hat Suizidgedanken. Das ergab eine Umfrage, welche die Stadt Chur bei ihren Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschülern durchgeführt hat. Die Kantonshauptstadt Graubündens ist mit dieser Entwicklung nicht allein. Schweizweit hat das Bundesamt für Statistik festgestellt, dass Stresssymptome und Angststörungen bei Jugendlichen deutlich zunehmen und bis zu 30 Prozent von ihnen psychische Probleme haben. Doch nicht nur junge Menschen sind betroffen. Fachleute schätzen, dass jede zweite Person in der Schweiz einmal in ihrem Leben an einer psychischen Erkrankung leidet.

Sensibilisieren und informieren

Um dem vorzubeugen, respektive um Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, die Bevölkerung für das Thema «Mental Health» zu sensibilisieren und Hilfsangebote bekannt zu machen, hat das Gesundheitsamt Graubünden die Aktionstage Psychische Gesundheit lanciert. Diese finden seit dem 7. September statt und dauern noch bis zum 10. Oktober. Die Aktionstage stehen unter dem Titel: «Wie geht’s dir?».

Die gleiche Frage stand auch im Zentrum des diesjährigen Forums für Lernende. Dieses wird seit bereits 21 Jahren von der Bündner Hotellerie, Gastronomie und den Bergbahnen für ihren Berufsnachwuchs durchgeführt. Es findet jeweils im Hotel Schweizerhof Lenzerheide statt.

Der Wald bewertet nicht, hat keine Erwartungen und stellt keine Bedingungen. Hier kann jeder so sein, wie er ist. Diese schöne Erfahrung durften die Lernenden beim Waldbaden machen. (Bilder Marco Hartman/Riccarda Frei)

«Dass die Aktionstage des Kantons und unser Forum zum gleichen Thema und im gleichen Zeitraum stattfinden, war nicht geplant, ergänzt sich aber schön», findet Corinne Bischof. Sie ist Teammitglied der Geschäftsstelle Gastrograubünden und für die Organisation des Forums für Lernende verantwortlich.

Rekordbeteiligung

Das Thema mentale Gesundheit brennt den jungen Menschen unter den Nägeln. Das zeigt die Tatsache, dass die Lernenden das Thema durch Mehrfachnennungen auf den Feedback-Bogen zum letzten Forum selber vorgeschlagen haben. Auch die Teilnehmerzahl spricht Bände. «Wir hatten noch nie so viele Anmeldungen wie in diesem Jahr», freut sich Corinne Bischof. 110 Lernende nahmen teil. Weitere 20 wären gerne gekommen, mussten aus Platzgründen aber zu Hause bleiben.


Henrik Gebris ist im dritten Jahr seiner Lehre zum Hotelfachmann. Er findet das Forum für Lernende sehr empfehlenswert.


Einen der begehrten Plätze ergattern konnte Ladina Fuchs. Die Lernende im dritten Lehrjahr macht ihre Ausbildung zur Hotel-Kommunikationsfachfrau in der «Priva Alpine Lodge» auf der Lenzerheide und wurde von ihrem Ausbildungsbetrieb ans Forum für Lernende geschickt. «Ich hätte mich aber auch selber angemeldet», sagt die junge Frau. «Das Thema des Events spricht mich an. Ich finde es gerade in unserem Alter wichtig, dass wir den Umgang mit Stress lernen. Das hilft uns im Beruf weiter», ist sie überzeugt. Sie habe in den verschiedenen Workshops und Vorträgen gelernt, bei Stress ruhig zu bleiben und tief durchzuatmen, um dann fokussiert weiterzuarbeiten.

Ähnlich beschreibt auch Henrik Gebris seine Lernerfahrung am Ende des Forums. Der Hotelfachmann im dritten Lehrjahr hat über den Lernenden-Chat seines Ausbildungsbetriebs, des Grand Resort Bad Ragaz, vom Forum erfahren. «Wir sind zu sechst hier», sagt er. Er nehme von diesem Tag viel mit. Zum Beispiel habe er Meditationen und Atemübungen kennengelernt, beim Waldbaden Sachen erspürt, die man nicht anfassen kann, und erkannt, wie wichtig es für das Wohlbefinden ist, jemandem, dem es nicht gut geht, zuzuhören. Dies nicht nur, weil es der anderen Person guttut, wenn jemand ein offenes Ohr für sie hat, sondern auch, weil es einem selbst ein gutes Gefühl gibt, das Gegenüber alleine durch das Schenken von Zeit und Aufmerksamkeit unterstützen zu können.

«Wie geht’s dir?»-App und andere Hilfsmittel

Zu fragen, wie es jemandem geht, ist das eine. Doch wie führt man das Gespräch sinnvoll weiter, wenn diese Person antwortet: «Schlecht!»? Die App «Wie geht’s dir?» enthält eine Anleitung, wie solche Gespräche geführt werden können und bietet auch sonst hilfreiche Tipps, was man tun kann, wenn es einem selbst oder einer anderen Person nicht gut geht.

Vorgestellt wurde die App von Simon Hausammann, Leiter Entwicklung bei Top-Ausbildungsbetrieb. Er moderierte am Forum der Lernenden und präsentierte unter anderem das Gesprächsmodell Azubi. Das Kürzel steht für Ansprechen, Zuhören (ohne gleich Tipps zu geben), Unterstützen, Beraten und «in Kontakt bleiben».


Ladina Fuchs ist Hoko-Lernende im dritten Lehrjahr. Sie nahm bereits zum zweiten Mal am Forum für Lernende teil.


Nach diesem ersten Workshop im Plenum wurden die Teilnehmenden in Gruppen eingeteilt und Gorilla übernahm. Hinter Gorilla steckt ein Team, das junge Menschen motiviert, zu sich und ihrer Umwelt Sorge zu tragen. Gorilla organisiert Sport- und Ernährungsprogramme für Schulen und hat nun mit Gorilla Balance auch ein Angebot an Tipps, Tricks und Übungen fürs innere Gleichgewicht. Mit Improvisationstheater und Selbsterfahrungsfragebogen erkundeten die Lernenden ihre Emotionen. Bei progressiver Muskelentspannung, Atemübungen und anderen Entspannungspraktiken probierten sie aus, welche Methode ihnen hilft, Stress abzubauen. Sie erkannten, dass Wut eine starke Energiequelle ist, die man positiv als Antrieb nutzen kann, und sie lernten, Reaktionen, die von aussen auf einen einprasseln, zum Beispiel via Social Media, nicht persönlich zu nehmen.

In kleinen Gruppen besprechen die Lernenden stressige Situationen aus ihrem Alltag und erarbeiten Lösungen.

Heilsame Stille und «Take care»

Nach den vielen Gesprächen ging es in die Stille. Während die einen Teilnehmenden an einem geführten Waldbaden ihre Sinne schärften und in der Natur neue Kräfte tankten, brachten sich andere mit Yoga und Meditation wieder ins Lot. Zurück im Plenum schloss Sam Donnellon von Ibex-Coaching den Tag mit einem motivierenden Referat ab. Sie erinnerte die Lernenden daran, dass sie für ihr Leben sowie ihre mentale und körperliche Gesundheit verantwortlich sind. «Take care», das Motto des Tages bedeutet schliesslich nichts anderes als «sorge gut für dich». Sam Donnellon gab den Jugendlichen ein paar kleine, aufmunternde Tipps. Zum Beispiel: «Führe positive Selbstgespräche, in denen du dich lobst und nett zu dir bist.» Auch solle man seinem Spiegelbild ruhig mal zulächeln und ihm ein High five geben. Die Coachin fordert die Lernenden auf: «Sei dein eigener Fanclub!»

Die Lernenden machten sich auch mit Yoga und Meditation vertraut.

(Riccarda Frei)


Simon Hausammann TOP-Ausbildungsbetrieb

Simon Hausammann, Top-Ausbildungsbetrieb zertifiziert Unternehmen, die sich gut um ihre Lernenden kümmern. Ist mentale Gesundheitsfürsorge ein Kriterium für das Gütesiegel?
Psychische Gesundheit ist ein Thema, das bereits heute in unserem dreistufigen Zertifizierungsmodell mitschwingt. Ab 2025 werden wir die Firmenverantwortlichen mit einem zusätzlichen Webinar auch für dieses Thema sensibilisieren. Auf der Stufe 2 wird das Angebot mit einem Wahlpflichtkurs miteinbezogen. Gastro Graubünden hat sich bereits entschieden, den Fokus auf die psychische Gesundheit zu legen.

Top-Ausbildungsbetrieb zerti­fiziert Betriebe aus allen Branchen. Gibt es branchen- oder berufsspezifische Unterschiede, was die mentale Gesundheit der Lernenden betrifft?
Dazu liegen uns keine Zahlen vor. Generell lässt sich sagen: Das Umfeld beeinflusst die mentale Gesundheit der Lernenden sehr stark. Es ist die Aufgabe der Betriebe, ein Umfeld zu schaffen, welches die körperliche wie auch die mentale Gesundheit der Lernenden schützt und bei psychischen Herausforderungen ein sicheres Umfeld schafft, ohne Druck aufzubauen. Dieser wäre kontraproduktiv. Das ist unabhängig vom Berufsumfeld. Hingegen spielt die Offenheit gegenüber dem Thema psychische Gesundheit eine elementare Rolle.

Was sollten gute Ausbildner zur Stärkung der Psyche ihrer Lernenden tun?
Sich regelmässig Zeit für ein offenes, ungestörtes Gespräch nehmen, gut zuhören und ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Treten mentale Probleme auf, sollten Berufsbildner nicht das Gefühl haben, das alleine meistern zu müssen. Sie sollten die Eltern frühzeitig einbeziehen und sich Unterstützung holen. Zum Beispiel bei einer externen Beratungsstelle.


«Ausbildner müssen vermehrt das Individuum sehen und begleiten.»

Simon Hausammann, Leiter Entwicklung bei der Stiftung Top-Ausbildungsbetrieb


Claudio Werlen, Gorilla Balance

Claudio Werlen, Sie waren 20 Jahre in der Gastronomie tätig und wissen, wie hektisch der Berufsalltag ist. Am Forum für Lernende hielten Sie nun den Workshop «Umgang mit Stress». Worum ging es darin?
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen sich mit dem Thema Stress auseinandersetzen. Zuerst machen wir eine Selbstreflexion. Gemeinsam besprechen wir, was uns stresst, was Stress mit uns macht und wie wir bisher mit Stress umgegangen sind. Anschliessend vermitteln wir den Lernenden Methoden, wie sie besser mit Stress umgehen können und stellen ihnen verschiedene Entspannungstechniken vor.

Warum ist dieses Wissen für Lernende wichtig?
Sie stehen am Anfang ihres Lebens, sind voller Energie und machen sich daher kaum Gedanken über einen schonenden Umgang mit ihren Kräften. Das Gastgewerbe ist eine schöne, aber fordernde Branche. Damit die jungen Berufsleute nicht ausbrennen und das Gastgewerbe verlassen, müssen sie wissen, wie sie ihre Kräfte schonen, pflegen und erneuern können. Es ist wie mit einem Auto. Man kann nicht ewig fahren, irgendwann muss es aufgetankt werden.

Was sind die Hauptaussagen aus Ihrem Workshop?
Stress und Zeitdruck sind nicht dasselbe. Unter Zeitdruck zu arbeiten, lässt sich im Gastgewerbe kaum vermeiden. Wir können aber viel dafür tun, dass uns diese Tatsache nicht stresst und wir trotz Zeitdruck körperlich und seelisch gesund bleiben. Dabei helfen uns genügend Schlaf, Sport, gesunde Ernährung, gute Gespräche mit Freunden und Vertrauenspersonen, Hobbys und Entspannungsmethoden. Stress hat – gerade in Notsituationen – auch eine positive Seite. Er mobilisiert Kräfte, die wir nie in uns vermutet hätten.


«Stress und Ernährung können sich gegenseitig beeinflussen.»

Claudio Werlen, Chefkoch mit eidg. Fachausweis, Diätkoch EFZ und Referent bei Gorilla


Beratungsstellen und Hilfsangebote

feel-ok.ch

Jugendliche, Eltern und Fachpersonen finden hier Unterstützung für verschiedene Lebensbereiche.

tschau.ch

Fachpersonen beantworten Fragen in anonymen E-Beratungen.

147.ch

Beraterinnen und Berater der Pro Juventute stehen für ein Gespräch zur Verfügung: telefonisch, per E-Mail und Whatsapp.

wie-gehts-dir.ch

Tipps, Instrumente, Infos und Adressen zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten aus praktisch allen Kantonen.


Mehr Informationen unter:

gastrograubuenden.ch/forum-fuer-lernende