Ferien ohne Barrieren

Reisen mit Handicap erfordert viel Planung und ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Betroffene wünschen sich mehr Informationen und Kommunikation auf Augenhöhe.

Will Sonja Häsler Ferien machen, reicht eine Suche auf dem Buchungsportal oder der Hotelwebsite oft nicht aus. Planung ist für sie das A und O, denn sie ist auf den Rollstuhl angewiesen. Häsler ist als Fachberaterin bei Procap Reisen tätig und Mitglied in der Reise- sowie der Sportkommission der Organisation. «Wenn ich alleine reise, muss ich jedes Detail genau durchgeplant haben», erzählt sie. «Besonders die Reise, die Unterkunft und die Hilfe vor Ort.»

Die Angabe «barrierefreies Zimmer» reicht dabei nicht aus. «Oft muss ich per Mail oder Telefon einen ganzen Katalog an Fragen stellen, der für mich und für die Mitarbeitenden im Hotel zusätzlichen Aufwand bedeutet.» Hilfreich wäre, wenn man die Informationen schon online abrufen könnte, zum Beispiel Bilder von Zimmer und Bad mit Massangaben. «Nicht alle Rollstuhlnutzer haben die gleichen Bedürfnisse. Für manche ist es relevant, ob der Zugang zum Bett oder zur Toilette links oder rechts ist. Oder ob das Bett zehn Zentimeter höher oder niedriger ist.»

Bei Susanne Gasser scheitert die Reiseplanung oft schon, bevor sie richtig angefangen hat. «Als blinde Person bin ich auf eine Sprachausgabe angewiesen. Wenn die Websites und Applikationen nicht zugänglich sind, komme ich nicht zu den nötigen Informationen, was sehr frustrierend ist.» Unterwegs benötige sie stets Hilfe, sagt Gasser, die ebenfalls Mitglied der Reisekommission von Procap ist. Sie wünsche sich, wenigstens bei der Planung ihren Teil übernehmen zu können.


«Ich wünsche mir einen konstruktiven Dialog.»

Sonja Häsler, Reisekommission ProcaP


Obwohl sie oft mit Begleitperson unterwegs sei, könnten Details in der Infrastruktur es ihr ermöglichen, unabhängiger zu sein, auch mal früher oder später ins Zimmer zu gehen. Dazu gehören Lifte mit Braille-Beschriftung oder Sprachausgabe sowie taktile Zimmernummern an der Tür. Seitens der Mitarbeitenden wünscht sich Gasser Offenheit für ihre Bedürfnisse. «Ein Zimmer, das zwar im ersten Stock liegt, aber zuhinterst am Gang, ist für mich weniger gut geeignet als eines, das in einem oberen Stockwerk in der Nähe der Treppe oder des Lifts liegt.» Auch hilfreich sei, wenn die Mitarbeitenden des Housekeepings einige Details beachten: «Es sollten keine Gegenstände verschoben oder Lampen eingeschaltet werden – sonst schlafe ich mit Licht. Oder wenn ich mit einem Haargummi an der Türfalle mein Zimmer markiere, wäre es schön, wenn es hängen bliebe.»

Kommunikation auf Augenhöhe ist den beiden Frauen besonders wichtig. «Lehne ich ein Hilfsangebot ab, möchte ich damit auch ernst genommen werden», sagt Sonja Häsler. Ein Klassiker sei das Buffet. «Ich möchte selbst entscheiden, was und wie viel ich esse – und nicht, dass mir jemand auf gut Glück einen Salatteller zusammenstellt.» Dazu, sich als Gast willkommen zu fühlen, gehöre auch die Infrastruktur. Oft erlebe sie beispielsweise, dass das rollstuhlgerechte WC gleichzeitig als Abstellraum genutzt wird und zuerst freigeräumt werden muss.


«Der barrierefreie digitale Zugang fehlt oftmals.»

Susanne Gasser,Reisekommission Procap


Das Thema Reisen mit Handicap umfasst zahlreiche Aspekte und Bedürfnisse. «Natürlich erwarten wir nicht von jedem Betrieb, die ganze Komplexität auf dem Schirm zu haben», sagt Sonja Häsler. Aber es gebe verschiedene Beratungsstellen, wo man sich das Wissen holen könne. «Oftmals ist es eine Frage des Willens. Meistens hilft es schon, sich zu fragen, ‹was würde ich in dieser Situation wollen oder erwarten›.»

Wer mit dem Rollstuhl unterwegs ist, muss sich vor einer Reise zahlreiche Gedanken machen. Je mehr Informationen über ein Gebäude oder ein Zimmer zur Verfügung stehen, desto besser. (Illustrationen Sonja Demarmels)

Helena Bigler, Leiterin des Ressorts Reisen und Sport bei Procap, spricht im folgenden Interview über barrierefreies Reisen in der Schweiz und wo es noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt.


Helena Bigler, bei «barrierefrei» denkt man zuerst an Rollstuhlgängigkeit. Welche weiteren Aspekte gibt es?
Das ist tatsächlich so. Die meisten denken zuerst an infrastrukturelle Hindernisfreiheit. Oftmals ist das auch eine zentrale Barriere. Neben Mobilitätsbarrieren gibt es aber auch auditive und visuelle Barrieren oder sogenannte betriebliche Barrieren. Es sind zudem viel mehr Menschen betroffen, als man denkt. Denn nicht nur Menschen mit Behinderungen profitieren von Barrierefreiheit, sondern auch ältere Menschen mit Mobilitätseinschränkungen oder Familien mit Kinderwagen.

Was sind die grössten Hürden, denen Menschen mit Handicap auf Reisen begegnen?
Neben infrastrukturellen Hürden fehlt oft auch eine Willkommenskultur. Viele Leute haben Angst, sich gegenüber Menschen mit Behinderungen falsch zu verhalten und wenden sich deshalb eher ab. Wir wünschen uns mehr Offenheit. Die Betroffenen sind Fachpersonen in eigener Sache, man kann sie immer ansprechen. Oft ist es am Ende gar nicht so kompliziert, eine Lösung zu finden.

Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Barrierefreiheit im Schweizer Tourismus?
Mit der Initiative OK:GO ist Bewegung in die Sache gekommen. OK:GO unterstützt Tourismusanbietende dabei, Zugänglichkeitsinformationen zu erfassen und zu veröffentlichen. Die Bewegung ist allerdings recht träge. Denn auch ohne teure bauliche Massnahmen könnte noch viel mehr erreicht werden. Wir merken aber, dass der gute Wille da ist und mit Sensibilisierungsarbeit schnell ein Bewusstsein entsteht.

Wie sieht es aufseiten der Betriebe aus?
Die Auswahl an Hotels ist für uns in der Schweiz nicht riesig. Oft sind es Betriebe mit religiösem Hintergrund, die sich vermehrt Sozialaspekten verschrieben haben und für Menschen mit Handicap gut eingerichtet sind. Wir würden unsere Palette gerne erweitern. Das Problem ist, dass es mit einem barrierefreien Zimmer nicht getan ist. Feriengäste mit Behinderungen möchten die Umgebung erleben, Restaurants besuchen, die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Hinzu kommt oft die Angst der Hotels, andere Gäste abzuschrecken, wenn man sein Angebot für Menschen mit Handicap promotet.

Taktile oder mit Braille beschriftete Zimmernummern helfen blinden Menschen bei der Orientierung.

Wie hoch ist die Nachfrage nach barrierefreien Ferien bei Procap Reisen?
Die Nachfrage ist sehr gross. Mit grösseren Ressourcen könnten wir viel mehr anbieten. Verändert hat sich im Vergleich zu früher die Eigenwahrnehmung: Auch Menschen mit schwereren Behinderungen trauen sich heute zu reisen, beispielsweise mit einer Assistenzperson. Angebotslücken gibt es bei der Unterstützung vor Ort. Mehr Menschen mit Handicap könnten selbständig reisen, wenn sie in der Unterkunft minimale Unterstützung wie etwa beim Anziehen von Stützstrümpfen bekommen könnten.

Welche Überlegungen müssen sich Hoteliers machen, die ihren Betrieb barrierefrei gestalten wollen?
Als Erstes muss man offen und neugierig sein. Dann ist es wichtig, sich das nötige Fachwissen zu holen. Es ist schade, wenn Anpassungen gemacht werden, die dann nicht funktionieren. Das Beste ist, mit Betroffenen sowie kantonal Beauftragten für barrierefreies Bauen durch die Räumlichkeiten zu gehen. Dann sieht man schnell, was es braucht. Nicht immer sind es teure bauliche Massnahmen.

Auf welchen Plattformen können Betriebe und Tourismusorganisationen kommu­nizieren, dass ihr Angebot barrierefrei ist?
Auf jeden Fall sollten sie ihre Angaben bei der Plattform OK:GO registrieren. Betriebe können Angebote auch unserem Procap-Reisebüro oder unserer Fachstelle für Tourismusinklusion melden.

Sie bieten Schulungen an Tourismusfachschulen an, geleitet von Betroffenen – warum braucht es diese Sensibilisierung?
Unser wichtigstes Ziel dabei ist, Menschen zusammenzubringen und Barrieren im Kopf abzubauen. Im persönlichen Austausch mit Betroffenen merkt man sehr schnell, wie man unterstützen kann. Inklusion funktioniert nur, wenn von Beginn weg mit Barrierefreiheit geplant wird. Entsprechend braucht es Sensibilisierungsarbeit an der Basis.

Wie steht es im Schweizer Tourismus um die Sensibilisierung der Mitarbeitenden für die Bedürfnisse von Menschen mit Handicap?
Es gibt dabei grosse Unterschiede. Die Schweizer Jugendherbergen haben beispielsweise eine eigene Fachperson dafür angestellt. Die Schweizer Pärke und Reka Ferien gehören ebenfalls zu den Vorreitern in Sachen Barrierefreiheit und Inklusion. Sie haben investiert und schulen ihre Mitarbeitenden. Es wäre zudem sicher sinnvoll, das Thema schon in der Grundausbildung der Tourismusfachpersonen zu behandeln.


«Kleine Anpassungen machen oft einen grossen Unterschied.»

Helena Bigler, Leiterin Reisen und Sport, Procap


Wird es künftig – auch mit dem Einsatz von digitalen und technischen Hilfsmitteln – für Menschen mit Handicap einfacher sein, zu reisen?
Es wird sicher einfacher, weil mehr Informationen online zur Verfügung stehen. Wichtig ist aber auch, dass diese sinnvoll und nutzerfreundlich aufbereitet sind. Es braucht dafür eine Plattform, auf der nach spezifischen Merkmalen gesucht werden kann – zum Beispiel, wenn jemand ein Pflegebett benötigt. Da sind wir dran und hoffen, bald eine entsprechende Lösung zu finden.

Welchen Wunsch haben Sie an die Branche?
Wir haben viele Kunden, die anders aussehen oder zum Beispiel Probleme beim Sprechen haben. Leider erleben wir es immer wieder, dass sich andere Gäste daran stören und sich beschweren. In solchen Situationen würden wir uns wünschen, dass die Betriebe für unsere Gäste einstehen. Denn alle haben das gleiche Recht, Ferien zu geniessen.

(Alice Guldimann)


Zur Person

Helena Bigler ist seit über 25 Jahren Leiterin des ­Ressorts Reisen und Sport bei Procap, der grössten Selbst­hilfeorganisation von und für Menschen mit Behinderung in der Schweiz. Procap Reisen ist das einzige Reisebüro der Schweiz, das sich als Spezialistin für barrierefreies ­Reisen im In- und Ausland ­positioniert. Zu Procap Reisen gehört auch die Fachstelle Tourismus Inklusion, die unter anderem Sensibilisierungsarbeit in der Branche leistet.


Barrieren im Gastgewerbe

Mobilität: bauliche Barrieren

Zu den Mobilitätsbarrieren gehören Absätze, Kanten, Stufen und Gefälle, aber auch zu geringe Tür- und Durchgangsbreiten sowie zu wenig Manövrierraum für Rollstühle. Dazu kommen zu steile Rampen, zu kleine Lifte mit zu hoch platzierten Bedienpanels oder nicht autonom ­bedienbare Treppenlifte.

Mobilität: Barrieren bei der Ausstattung

Die zweite Kategorie der Mobilitätsbarrieren betrifft Möblierungen, ­welche die Nutzung von zentralen Dienstleistungen verunmöglichen: zum Beispiel zu hohe Réceptionsschalter, festgeschraubtes Mobiliar oder eine Ausstattung des Badezimmers, die ein autonomes, sicheres Manövrieren erschwert.

Visuelle Barrieren

Fehlende taktilvisuelle Informationen und Orientierungsgeber stellen für Menschen mit Sehbehinderungen Barrieren dar. Zum Beispiel ein Lift ohne Sprachausgabe oder taktile ­Bedienelemente. Sind Signalisationen, Displays, Websites oder Gefahrenmarkierungen schwer sichtbar, sind sie für den Gast nutzlos und stellen im Extremfall Gefahren dar. Auch ungünstige Licht- oder Kontrastverhältnisse können visuelle Barrieren sein.

Auditive Barrieren

Sind Informationen rein auditiv vorhanden, stellt das eine grosse Barriere für Menschen mit eingeschränktem oder nicht vorhandenem Hör- und Sprechvermögen dar. Ausserdem kann eine ungünstige Raumakustik mit vielen Neben- und Störgeräuschen für Gäste mit Hörbehin­derungen die Kommunikation stark erschweren oder verunmöglichen.

Betriebliche Barrieren

Es gibt zahlreiche betriebliche ­Barrieren, die durch eine entsprechende Instruktion oder Schulung des Personals vermieden werden ­können. Zum Beispiel der korrekte Service für Gäste mit Seh- oder ­Hörbehinderungen. Oder auch die richtige Platzierung von Shampoo oder Hand­tüchern, sodass diese auch für Gäste im Rollstuhl erreichbar sind.


Hotelleriesuisse hat in Zusammenarbeit mit der Claire & George Stiftung den Leitfaden «Barrierefreiheit in der Hotellerie» herausgegeben. Dieser ist abrufbar unter hotelleriesuisse.ch.


Mehr Informationen unter:

procap-reisen.ch