Seit knapp einem Jahr blockiert Gastrosuisse die Verhandlungen für einen neuen L-GAV. Weshalb stellt sich der Verband quer und wie geht es weiter? Stefan Unternährer, Verhandlungsleiter L-GAV auf Arbeitnehmerseite, gibt Antwort.
Was will Gastrosuisse mit der Blockade erreichen?
StefanUnternährer: Gastrosuisse will, dass der Mindestlohn für Ungelernte im Landes-Gesamtarbeitsvertrag (L-GAV) vor höhere kantonale Mindestlöhne gestellt wird. Dazu unterstützt Gastrosuisse mit 28 weiteren Organisationen eine im Ständerat eingereichte Motion, die das verlangt. Der Ständerat hat die Motion abgelehnt.
Was bedeutet das Nein des Ständerates zur Gastrosuisse- Forderung für die blockierten L-GAV-Verhandlungen?
Zunächst bedeutet das Nein, dass sich Gastrosuisse weiterhin über kantonale Mindestlöhne ärgern wird. Dieser Ärger birgt die Gefahr, dass die Verhandlungsblockade im L-GAV weiter andauern könnte. Es wäre aber ein Fehler, 28 000 L-GAV-Betriebe und ihre über 200 000 Mitarbeitenden weiterhin mit einer Verhandlungsblockade im L-GAV zu bestrafen, weil einige Kantone keine Löhne unter dem Existenzminimum mehr dulden. Das weiss auch Gastrosuisse. Deshalb bin ich überzeugt, dass Gastrosuisse die L-GAV-Verhandlungen jetzt wieder aufnehmen und die Fragen «L-GAV-Verhandlungen» und «kantonale Mindestlöhne» in Zukunft trennen wird.
Warum sollte man die beiden Fragen «L-GAV-Verhandlungen» und «kantonale Mindestlöhne» trennen?
In L-GAV-Verhandlungen kann man nichts gegen kantonale Mindestlöhne tun. Für kantonale Mindestlöhne sind die Kantone und nicht die Sozialpartner des L-GAV zuständig. Falls die Allianz von 29 Organisationen ihren Kampf gegen den Vorrang kantonaler Mindestlöhne vor allgemeinverbindlichen Mindestlöhnen in GAVs weiterführen will, soll sie diesen in Zukunft auf Gesetzesebene führen, wo er hingehört.
Welche Aufgabe hat der L-GAV und welche Aufgabe ein kantonaler Mindestlohn zu erfüllen?
Der L-GAV hat für fairen Wettbewerb unter den Anbietern zu sorgen und seinen Beitrag zu leisten, dass die Betriebe auf dem Arbeitsmarkt die Mitarbeitenden finden, die sie brauchen, um erfolgreich wirtschaften zu können. Ein gesetzlicher kantonaler Mindestlohn hat die Frage zu beantworten, ob ein Lohn bei einer 100-Prozent-Anstellung in einem Kanton existenzsichernd sein muss oder ob die Steuerzahler nicht existenzsichernde Löhne subventionieren sollen. Einen Stellvertreterkrieg zur kantonalen Mindestlohnfrage in den Verhandlungen für den L-GAV zu führen, hat nur eine Auswirkung: Er schadet dem Gastgewerbe.
Besteht die Möglichkeit, dass noch weitere Kantone existenzsichernde Mindestlöhne erlassen werden?
Drei Gründe sprechen dafür. Zum Ersten hat das Bundesgericht 2017 in einem Leitentscheid das Recht der Kantone bestätigt, existenzsichernde Mindestlöhne zu erlassen. Zweitens zeigen kantonale Abstimmungen, dass die Steuerzahler immer weniger bereit sind, Löhne unter dem Existenzminimum mit ihren Steuerfranken über Sozialleistungen zu subventionieren. Und drittens ist gesellschaftspolitisch ein existenzsichernder Lohn bei einer 100-Prozent-Anstellung heute nur noch eine Frage des Anstandes.
Was müssten die Vertragsparteien des L-GAV in dieser Situation tun?
Der Kampf gegen existenzsichernde Mindestlöhne in den Kantonen ist nicht zu gewinnen. Das Dauerargument der Arbeitgeber in L-GAV-Verhandlungen «Es steht nirgends geschrieben, dass ein Mindestlohn im L-GAV existenzsichernd sein muss.» hat ausgedient. Es braucht einen neuen Ansatz in der Mindestlohnpolitik: Hin zu Mindestlöhnen, die gesellschaftlich akzeptierter und am Arbeitsmarkt konkurrenzfähiger sind. Dieser Weg bedingt Vertrauen in die Stärke der Branche. Dieses Vertrauen ist gerechtfertigt: Unsere Branche ist in der Lage, Herausforderungen selber zu meistern.
(Interview Mario Gsell)
Mit L-GAV
Mindestlöhne
Von 3470 Franken (ohne Berufsausbildung) bis 4910 Franken (mit Berufsprüfung)
13. Monatslohn
13. Monatslohn garantiert
Versicherung bei Krankheit / Unfall
Taggeldversicherung bis 720 Tage unabhängig der Dienstjahre
Arbeitszeit
Maximal 42 Stunden pro Woche (Normalbetrieb), 43.5 (Saisonbetrieb), 45 (Kleinbetrieb)
Ferien
fünf Wochen
Aus- und Weiterbildung
Aus- und Weiterbildung fast kostenlos
Branchenwettbewerb
Verpflichtung aller Betriebe auf gleiche minimale Lohn- und Arbeitsbedingungen
Ohne L-GAV
Mindestlöhne
Keine Mindestlöhne
13. Monatslohn
Kein 13. Monatslohn
Versicherung bei Krankheit / Unfall
Beschränkte Lohnfortzahlung nach Dienstjahren
Arbeitszeit
50 Stunden pro Woche
Ferien
vier Wochen
Aus- und Weiterbildung
Keine Unterstützung bei Aus- und Weiterbildung
Branchenwettbewerb
Keine Verpflichtung auf gleiche minimale Lohn- und Anstellungsbedingungen
Mehr Informationen unter:
www.l-gav.ch