Sechsteilige Serie «Die Jagd nach Punkten und Sternen» –
Teil 4: Die Pragmatischen.
Othmar Schlegel, Küchenchef im Hotel Castello del Sole, ist ein Altmeister seiner Zunft. Er blickt auf ein langes Berufsleben zurück. Vor fast fünfzig Jahren startete der Luzerner seine Laufbahn mit einer Lehre im «The Dolder Grand» in Zürich. Nach Lehr- und Wanderjahren, die ihn vom «Palace» in Luzern übers «Dorchester» in London nach Paris ins «Maxim’s» führten, zog es ihn ins Tessin, nach Ascona. Im Hotel Castello del Sole ist er seit 29 Jahren als Küchenchef tätig. In all den Jahren ist er seiner Philosophie stets treu geblieben. Als die Nouvelle Cuisine noch angesagt war, setzte er auf Grosse Pièce und ganze Fische. Und er achtet schon seit eh und je auf Saisonalität und Regionalität. Die Anzahl der GaultMillau-Punkte stieg über die Jahre, ein langsamer, konstanter Prozess bis zu den aktuellen 18 Punkten. «Dass es Punkt für Punkt nach oben ging, entsprach mir», sagt er. «Über die Jahre sind mein Team und ich immer besser geworden und so konnten wir uns langsam aber stetig an die höheren Anforderungen gewöhnen.» Bei vielen seiner jungen Berufskollegen beobachtet er oftmals einen kometenhaften Aufstieg. Er bezweifelt, ob das wirklich gesund ist. Denn nicht selten würden sie nach einer gewissen Zeit von der Bildfläche verschwinden.
Othmar Schlegel kann sich nicht mehr genau erinnern, in welchen Jahren er die jeweiligen GaultMillau-Punkte erhalten hat. Wann, warum und wie viele Punkte man erhalte, sei immer vom Zeitgeist abhängig. Zurzeit etwa sei seine Kochphilosophie sehr angesagt mit Fokus auf Regionalität und Saisonalität, die Produkte unverfälscht im Zentrum sowie Produkte aus dem eigenen Garten und Betrieb. Vor dreissig Jahren sei er damit jedoch ein Aussenseiter gewesen.
Natürlich haben er und seine Equipe sich über den 18. Punkt sehr gefreut, der ihnen vor zwei Jahren vergeben wurde. «Punkte sind wichtig, ebenso wichtig aber ist mir ein zufriedener Gast», sagt Othmar Schlegel. Denn der Gast sei es schliesslich, der den Umsatz bringe. Im Gegensatz zu vielen seiner Berufskollegen, die ihren Betrieb selbständig führten, sei er jedoch über all die Jahre in einer komfortablen Situation gewesen. «Der finanzielle Druck hält sich bei uns in Grenzen, da wir das Hotel im Rücken haben.» In selbständig geführten Betrieben hingegen könne ein Punkt mehr durchaus zu einer Umsatzsteigerung führen.
«Natürlich ist für uns klar, dass wir die 18 Punkte halten wollen. Doch ab einem gewissen Alter geht man etwas entspannter an die Dinge heran», sagt der Spitzenkoch, der sich zu hundert Prozent auf seine Mitarbeiter verlassen kann. Man werde nicht besser, wenn man sich unter Druck setzen lasse. «Wenn ich nervös werde, überträgt sich das auf meine Mitarbeiter und die Qualität sinkt.»
So erinnert er sich etwa an eine Situation vor vielen Jahren, als VIPs in der «Locanda» zu Gast waren und er etwas besonders gut hinkriegen wollte. Doch das habe natürlich nicht geklappt, und es sei schlechter rausgekommen als gewöhnlich. Das habe ihm die Augen geöffnet. «Diese Gelassenheit wird einem jedoch nicht geschenkt, man muss sie sich über Jahre aneignen.» Im Herbst wird sich Othmar Schlegel vom «Castello del Sole» verabschieden und in Pension gehen. «Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, könnte es mich durchaus reizen, einen weiteren Punkt zu erobern.»
Vreni Giger ist neben Tanja Grandits vom Restaurant Stucki in Basel, Käthi Fässler vom Hotel Hof Weissbad und Bernadette Lisibach von der «Neuen Blumenau» eine der wenigen Frauen, die schon seit Jahren auf höchstem Niveau kochen. Anfang Juni feiert Vreni Giger ihr zwanzigjähriges Jubiläum im Restaurant Hotel Jägerhof in St. Gallen. Schon zum dreizehnten Mal in Folge hat «GaultMillau» ihre Küche bewertet. Seit 2004 darf sie sich mit 17 Punkten schmücken.
Diesen zusätzlichen Punkt erhielt sie ein Jahr, nachdem sie von «GaultMillau» zur Köchin des Jahres gewählt worden war. «Es hat mich unglaublich stolz gemacht», sagt die Grande Dame der Schweizer Bio-Küche. «Ich bin ein ehrgeiziger Mensch, und ich will stets die beste Leistung bringen.» So hat das eine das andere ergeben. Denn es sei nicht so, dass sie sich gesagt habe, so und so viele Punkte will ich haben.
«17 Punkte sind perfekt. Ich bin happy damit.» Ein weiterer Punkt kommt für sie nicht in Frage. «Einen solchen könnte ich mir nur mit einem Mäzen im Rücken leisten», sagt die 43-jährige Ostschweizerin. Als sie erstmals 17 Punkte erhielt, veränderte sich die Gästestruktur. Zu ihren Stammgästen, die zum Teil kein grosses Aufheben um die Punkte machten, gesellten sich die Gourmettouristen. Da habe sie zum Teil schon Druck verspürt, doch einen hausgemachten, wie sie sagt. Denn sie ist sich selbst die strengste Kritikerin.
Und trotz dieses hohen Anspruchs kann es natürlich zu Reklamationen kommen. «Ich mag keine Reklamationen. Doch ich muss sie akzeptieren», sagt die Spitzenköchin. «Wenn ich das Gefühl habe, dass ich meinen Job gut gemacht habe, dann kann ich damit umgehen.» Wenn sie hingegen mit ihrer Arbeit selber nicht zufrieden war, dann sei eine Reklamation sehr schlimm für sie. Doch auch das müsse man hinnehmen und damit umzugehen lernen. Das gehöre halt einfach dazu.
Wenn man Vreni Giger so erzählen hört, dann könnte man meinen, sie kriege das alles mit links hin. Darauf angesprochen, wehrt sie lachend ab. «So ist es natürlich nicht, es ist ein Knochenjob.» Doch Vreni Giger, die auf einem Bauernhof in der Ostschweiz aufwuchs, ist in der Gastronomie zu Hause. Zurzeit könnte sie sich nichts anderes vorstellen.
Mittlerweile verbringt sie weniger Zeit in der Küche und kümmert sich stattdessen mehr um ihre Gäste. Diesen direkten Bezug zu den Gästen schätzt sie sehr. Zudem packt sie als Eigentümerin des Hauses, wann immer Not an der Frau oder am Manne ist, auch bei anderen Tätigkeiten mit an. Als Ausgleich zu ihrem intensiven Leben im Restaurant und Hotel treibt sie viel Sport und widmet sich mit viel Leidenschaft dem Töpfern und Modellieren. Viele der dabei entstehenden Arbeiten finden ihren Weg in den «Jägerhof».
Der Luzerner (* 1951) absolvierte seine Lehre im «The Dolder Grand» in Zürich. Seit 29 Jahren ist er als Küchenchef für die Gastronomie des Hotels Castello del Sole in Ascona tätig. Das «Barbarossa» weist 18 GaultMillau-Punkte und 1 Michelin-Stern auf.
Die St. Gallerin (* 1973) kocht seit 1996 im Restaurant Hotel Jägerhof in St. Gallen. Seit 2003 hat sie die Position der Küchenchefin inne und seit 2009 ist sie Eigentümerin des Betriebes. Sie wird seit über zehn Jahren mit 17 GaultMillau-Punkten ausgezeichnet.