Freundlichkeit sollte in Hotel- und Gastrobetrieben selbstverständlich sein. Aber echte Gastfreundschaft geht weit über ein freundliches Lächeln hinaus – und hilft, sich abzuheben.
Das Check-in findet in der gemütlichen Hotel-Lounge statt, während dem Gast ein Begrüssungsdrink serviert wird. In seinem Zimmer liegt ein handgeschriebener Begrüssungsbrief. Zum Geburtstag wird ihm ein Stück Kuchen offeriert. Die Kinder dürfen nach dem Essen mit einem Mitarbeitenden einen Rundgang durch die Küche machen. Das alles ist Gastfreundschaft. Diese kostet den Betrieb meist nicht viel, zeigt aber grosse Wirkung. «Die Gastfreundlichkeit gehört bei allen unseren Gästen zu den wichtigsten Bedürfnissen, die sie auf einer Schweiz-Reise finden und schätzen», sagt André Aschwanden, Mediensprecher von Schweiz Tourismus. Gemäss Tourismus Monitor Schweiz 2017, der grössten Gästebefragung hierzulande, kommt die Gastfreundschaft gleich nach den Kategorien Landschaft, Erholung und gute Erreichbarkeit. «Gastfreundlichkeit ist von grosser touristischer Relevanz», so Aschwanden. «Vom Reiseland Schweiz als Marke für höchste Präzision und Qualität erwartet man in allen Belangen Spitzenleistungen.»
Im hektischen Berufsalltag kann Gastfreundschaft aber vergessen gehen. Sie gilt als selbstverständlich, ist es aber längst nicht immer. Nicht zuletzt deswegen hat Schweiz Tourismus im Jahr 2013 den Prix Bienvenu ins Leben gerufen: eine Auszeichnung für die freundlichsten Hotels der Schweiz. Dieses Jahr wurde er am Schweizer Ferientag in Interlaken zum sechsten Mal an jene Hotels verliehen, die in Online-Gästebewertungen und nach Jury-Besuchen punkto Gastfreundschaft am besten gefielen. Gewonnen haben Gastgeber aus Leidenschaft, die ihren Gästen nicht nur mit Freundlichkeit, sondern mit echter Herzlichkeit begegnen.
Die Gästebewertungen des Hotels Glocke in Reckingen/VS können sich sehen lassen. Durchs Band erhält der kleine Familienbetrieb maximale Punktzahlen von den Gästen. Neben der schönen Lage und dem guten Essen wird vor allem eines gelobt: die Gastfreundschaft. Von der «freundschaftlichen Atmosphäre» ist die Rede, dem «persönlichen Empfang» und der «herzlichen Betreuung». Ein Gast bringt es auf den Punkt: «Vom ersten Moment an fühlte ich mich im Hotel Glocke wie zuhause.» Kein Wunder also, dass das Hotel Glocke mit dem Prix Bienvenu 2018 in der Kategorie «Ferienhotel klein und fein» ausgezeichnet wurde.
Gastfreundschaft wird von den Gastgebern Sonja und Sebastian Schmid grossgeschrieben. Dass sich die Gäste bei ihnen wie zuhause fühlen, hören sie öfter. «Das liegt unter anderem daran, dass wir als Gastgeber sehr präsent sind», sagt Sonja Schmid. Das Gastgeberpaar begrüsst und verabschiedet die Gäste wenn immer möglich persönlich, fragt sie beim Frühstück, wie sie geschlafen haben und gibt Tipps zu Ausflügen in der Umgebung. Die Gäste sollen wissen, dass sie mit ihren Anliegen immer auf die Gastgeber zukommen dürfen. «Wichtig ist, dass man den Gast und seine Bedürfnisse wirklich wahrnimmt und auf ihn eingeht», so Sonja Schmid. Wie zuhause fühlte sich auch Juror Michel Rochat, Generaldirektor der Ecole hôtelière de Lausanne, der das Hotel Glocke im Vorfeld des Prix Bienvenue persönlich besuchte. Kurzerhand zog er bei der Preisverleihung auf der Bühne die Krawatte aus, um das zu illustrieren.
Zum familiären Klima tragen nicht zuletzt die vielen Stammgäste bei, die jedes Jahr wiederkommen und sich oft untereinander kennen. Die Gastgeberfamilie wohnt ebenfalls im Hotel und sitzt abends noch oft bei den Gästen – so wird aus Gastfreundschaft nicht selten echte Freundschaft.
Fast wie zuhause sollen sich auch die Gäste des Hotels The Omnia in Zermatt/VS fühlen, das den Prix Bienvenu 2018 in der Kategorie «Luxushotel» gewonnen hat. «Viele Stammgäste ziehen schon beim Check-in in der Lobby ihre Schuhe aus und schlüpfen in unsere Omnia-Slippers», erzählt Direktor Christian Eckert. Von steifer Luxushotel-Atmosphäre keine Spur. Gastfreundschaft heisst für ihn, immer mehr zu machen, als der Gast erwartet. Er geht selbst mit gutem Beispiel voran und verlässt sogar Meetings, um die Gäste persönlich zu begrüssen. Und auch die Mitarbeitenden geben jeden Tag ihr Bestes, um die Gäste zu überraschen. So steht das Team beispielsweise in der Vorweihnachtszeit auch schon mal um 23 Uhr nach getaner Arbeit in der Küche und backt Plätzchen, welche die Gäste am nächsten Tag in ihren Zimmern finden.
«Gerade auf der Hochpreisinsel Schweiz muss man dem Gast Dienstleistungsservice auf höchstem Niveau bieten», ist Christian Eckert überzeugt. Gastfreundschaft sei aber letztlich eine Herzenssache: «Man muss sich wirklich für den Gast interessieren und ihm nicht nur zuhören, sondern zwischen den Zeilen lesen.» So sind dem Hoteldirektor bei Einstellungsgesprächen dann auch der Dienstleistungsgedanke und die Motivation der Bewerber wichtiger als ein perfekter Lebenslauf. Denn das Motto im «The Omnia» lautet: «Die Gäste kommen als Gäste, gehen als Freunde und kommen als Familie wieder.»
Ein besonderes Augenmerk auf die Gastfreundschaft legt auch Luzern Tourismus. Unter anderem werden in der Region Luzern/Vierwaldstättersee seit Januar 2018 so genannte «Gastfreundschafts-Coachings» für Tourismusbetriebe angeboten. «Eine verbesserte Gastfreundschaft führt zu einer höheren Gesamtzufriedenheit der Gäste und damit zu einer stärkeren Gästebindung und -loyalität», sagt Anna Hartmann von Luzern Tourismus. Acht Betriebe hat der anonyme Coach, der viel Erfahrung in der Hotellerie mitbringt, seither besucht. Er ist überzeugt: «Die Gastfreundschaft muss in einem Betrieb permanent zum Thema gemacht werden, denn wenn sie als selbstverständlich angesehen wird, geht sie in der Praxis leicht vergessen.» Anders als die Sauberkeit der Zimmer werde die Gastfreundlichkeit des Angestellten meist nicht regelmässig kontrolliert: «Darum ist die Sensibilisierung besonders wichtig.» Wer das Gastfreundschafts-Coaching bucht, dessen Betrieb wird von A bis Z auf dieses Kriterium durchleuchtet. Von der Homepage über Check-in, Abendessen und Frühstück bis zur Reaktion des Personals auf spezielle Anfragen geht der Coach einen zwölf Seiten langen Fragebogen durch und notiert sich alles, was verbessert werden könnte.
Er überprüft beispielsweise, ob die Homepage auch übers Mobiltelefon anwendbar ist, ob die Kommentare auf Bewertungsportalen beantwortet werden, ob auf Beanstandungen grosszügig reagiert wird oder ob die Mitarbeiter merklich Freude an ihrer Arbeit haben. Beim anschliessenden Coaching gibt er den Hoteliers konkrete Tipps, wie sie ihre Gastfreundlichkeit verbessern können. Die Hochschule Luzern hat für das Projekt verschiedene Booklets erstellt zum Beispiel zur positiven Sprache, zu Tipps für Führungspersonen oder mit Ideen zur Gästeverblüffung.
Der Gastfreundschafts-Coach kommt nicht als Kritiker ins Haus, sondern nimmt den Betrieb so wahr, wie er auf den Gast wirkt. So fiel ihm etwa in einem Restaurant auf, dass der Service sehr chaotisch ablief, während der Geschäftsführer mit seiner Gattin im Restaurant zu Abend ass und nicht eingriff. «Das macht keinen guten Eindruck.» Der Geschäftsführer erklärte ihm beim Coaching, dass er prinzipiell nie in den Service eingreife. «Das ist in Ordnung, aber dann muss jemand anderes diese Funktion übernehmen.»
Einer, der bereits ein Gastfreundschafts-Coaching in Anspruch genommen hat, ist Alessandro Pedrazzetti vom Hotel Continental Park in Luzern. «Ich lege sehr viel Wert auf Gastfreundschaft. Eine neutrale Person bemerkt Dinge, die wir im täglichen Betrieb gar nicht mehr sehen», sagt er. In Gästebewertungen schneidet das Hotel bezüglich Gastfreundschaft gut ab, aber Pedrazzetti ist überzeugt, dass am Thema Freundlichkeit stets gearbeitet werden muss. Dem Coach fiel im Hotel zum Beispiel auf, dass man den Gast besser auf Zusatzangebote wie Vergünstigungen im hauseigenen Restaurant hinweisen könnte. Alessandro Pedrazzetti ist zufrieden mit dem Coaching. So sehr, dass er es mit dem gesamten Kader nochmals durchführen liess. «Seit dem Coaching haben wir beispielsweise gemerkt, dass wir unter anderem dank der Hinweise auf unsere Zusatzangebote mehr Umsatz machen.»
Der Luzerner Gastfreundschafts-Coach ist überzeugt, dass Hoteliers und Gastronomen das Thema Gastfreundschaft nicht unterschätzen dürfen: «Gerade wenn es in einer Region sehr viele Betriebe gibt, kann man sich durch Herzlichkeit und sehr guten Service von der Konkurrenz abheben.» Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass wirkliche Gastfreundschaft nur gelingt, wenn man Gastgeber mit Herz und Seele ist – und den Gästen immer ein bisschen mehr bietet, als diese erwarten.
(Angela Hüppi)
Quelle: Forschungsprojekt Stärkung der Gastfreundschaft in der Zentralschweiz, Hochschule Luzern
Ferienhotel klein und fein
Hotel Glocke, Reckingen/VS
www.glocke.ch
Ferienhotel gross
Hotel Allegra, Pontresina/GR
www.allegrahotel.ch
Stadthotel
Micro Hotel, Basel/BS
www.microhotel.ch
Luxushotel
The Omnia, Zermatt/VS
www.the-omnia.com
www.stnet.ch
www.gastfreundschaft-zentralschweiz.ch