Im Conveniencebereich legen hochverarbeitete Lebensmittel zu. Warum das so ist und welche Folgen das für unsere Gesellschaft hat, weiss Professorin Christine Brombach.
Christine Brombach, seit der Pandemie hat das Wort Convenience an Bedeutung gewonnen. Wann spricht man bei einem Lebensmittel von Convenience?
Das Thema ist unglaublich spannend und facettenreich. Der Begriff allein ruft schon die unterschiedlichsten Reaktionen hervor. Klar definiert ist er in der Wissenschaft jedoch nicht. Worauf man sich grob einigen konnte, sind vier Verarbeitungsstufen, wobei jene der hochverarbeiteten Lebensmittel am stärksten wächst.
Ein Grund zur Sorge?
Diese Lebensmittel weisen eine hohe Kaloriendichte auf und werden in wissenschaftlichen Diskursen in Zusammenhang mit negativen Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt gesehen. Das konnte in Studien nachgewiesen werden. Doch ein Grund zur Sorge ist der Anstieg nicht nur deshalb. Es zeigt sich auch, dass die Kochkompetenzen in der Gesellschaft abzunehmen scheinen.
Haben die Leute keine Lust mehr, selbst zu kochen?
Das gibt es sicher auch, doch in vielen Fällen hat es eher damit zu tun, dass viele Menschen bei uns nicht mehr ausreichend wissen, wie man kocht. Früher wurde von Generation zu Generation weitergegeben, wie man welche Lebensmittel zubereitet und was man beispielsweise aus Resten noch machen kann. Dieses Wissen fehlt heute oftmals. Die Lebensmittel am Markt haben sich verändert. Hinzu kommt, dass das gastronomische Angebot immens ist. Was sich dadurch sicherlich geändert hat, ist die Notwendigkeit, selbst zu kochen. Ob das eine sinnvolle Entwicklung ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich persönlich finde es extrem wichtig, ein Grundverständnis zu haben. Kochen ist eine Lebenskompetenz, die es ermöglicht, den Essalltag selbstverantwortlich zu gestalten.
Solche Kompetenzen werden doch im Hauswirtschaftsunterricht an den Schulen vermittelt, oder etwa nicht?
Das kommt ganz darauf an, wo sich die Schule befindet. Hinzu kommt, dass in diesem Unterricht auch noch andere Kompetenzen vermittelt werden. Da bleiben für das Kochen vielleicht nur noch zwei Lektionen pro Woche.
Zu wenig?
Auf jeden Fall. Doch selbst wenn im Kindesalter Grundkompetenzen vermittelt wurden, heisst das noch lange nicht, dass dieselben Menschen auch im Erwachsenenalter noch wissen, wie man kocht. Lebensmittel und das Kochen derselben ist etwas, womit man sich ein Leben lang auseinandersetzen sollte, zumal die Vielfalt der Produkte etwa auch durch Importe und Innovationen am Markt stetig wächst. Denken Sie nur mal an die pflanzlichen Alternativen zu tierischen Produkten. Diese waren vor 20 Jahren noch kein Thema in unseren Kochbüchern.
Intensiver mit dem Kochen auseinandergesetzt haben dürften sich zumindest jene, die während der Pandemie zum Beispiel damit begonnen haben, selbst Brot zu backen. Widerspricht das nicht der Annahme, die Kochkompetenz in der Gesellschaft nehme ab?
Nein, denn jene, die sich während der Pandemie mit Brotbacken, Fermentieren und dergleichen auseinandergesetzt haben, haben sich schon davor über ihr Essen informiert und sind beispielsweise auch stärker sensibilisiert, was Verarbeitungsstufen oder Zusatzstoffe in Lebensmitteln anbelangt.
Würden Sie sagen, das Bewusstsein für die Inhaltsstoffe ist in den letzten Jahren gesamtgesellschaftlich gestiegen?
Es ist eine Sensibilisierung da, aber auch eine grosse Unsicherheit. Es geht schliesslich nicht nur um die Inhaltsstoffe selbst. Es geht auch um den Weg, den ein Lebensmittel zurücklegt, Nachhaltigkeit, Gesundheit, Regionalität, Saisonalität und auch um das Tierwohl.
Wie weit sollten Gastronomiebetriebe Ihrer Ansicht nach bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln gehen?
Nebst den Herkunftsangaben, die bereits Pflicht sind, und Angaben zu den Allergenen sollte meines Erachtens auch aufgezeigt werden, bei welchen Gerichten Convenience-Produkte verwendet wurden und welcher Verarbeitungsstufe diese Zutaten angehören. Aber auch jene Bestandteile, die naturbelassen sind, sollten ausgewiesen werden. Das wäre auch eine Chance für die Gastronomie.
Inwiefern?
Nehmen wir mal an, sie verwenden für ein Gericht blaue Bergkartoffeln. Dann könnte man den Gästen etwas zum Produkt erzählen. Dazu, wo die Kartoffeln herkommen, wie sie zubereitet werden oder wann sie Saison haben. Das zeigt zum einen, dass der Betrieb über Expertise verfügt und vermittelt Gästen zudem Wissen, das sie davor vielleicht noch nicht hatten.
(Interview Désirée Klarer)
Prof. Dr. Christine Brombach ist Ernährungswissenschaftlerin und Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Sie studierte in Giessen (DE) und in Knoxville (USA) Ernährungs- und Haushaltswissenschaften.