Alma Jucker jobbt Teilzeit in der Café-Bar Turnhalle in Bern. Daneben besucht sie seit Anfang 2021 einen Kurs, um richtig Lesen und Schreiben zu lernen. Etwas, das 800 000 Menschen in der Schweiz Mühe bereitet.
«Adjektive, Nomen, Gross- und Kleinschreibung – in Deutsch war ich nie besonders stark. Selbst lange nach meiner Schulzeit musste ich mich noch für mein schlechtes Deutsch rechtfertigen», erzählt Alma Jucker (31). Die gelernte Pflegeassistentin und alleinerziehende Mutter zweier Kinder arbeitet Teilzeit im Service in der Café-Bar Turnhalle in Bern. Damit finanziert sie sich unter anderem einen Kurs, in dem die Grundkompetenzen Lesen und Schreiben behandelt werden.
Wobei: Viel Geld muss sie dafür nicht ausgeben, sagt Alma Jucker: «Das Semester kostet regulär gut 150 Franken. Dank meiner Kulturlegi ist der Kurs sogar noch günstiger.»
Von dem Kurs erfahren hat sie durch eine Nachbarin, die den Kurs absolviert hat und ihr begeistert davon erzählte. «Mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass es Kurse geben könnte, die so günstig sind», sagt sie.
Die finanzielle Hürde sei sicherlich einer der Gründe, weshalb Betroffene nichts unternehmen würden, ihre Kompetenzen zu stärken. Ein weiterer der, dass die Schamgrenze hoch sei. Betroffene können sich gar nicht vorstellen, dass sie mit ihrem Problem nicht allein seien. «Das ging auch mir so. Doch je mehr ich selbst darüber spreche, desto mehr Menschen sagen, dass es ihnen ähnlich geht wie mir. Es ist wichtig, das Schweigen zu brechen», sagt sie.
Laut der Internationalen Konferenz für Weiterbildung gibt es schweizweit mehr als 400 000 Erwachsene, die Schwierigkeiten mit einfacher Mathematik im Alltag haben. Hinzu kommen doppelt so viele Erwachsene, die nicht fliessend lesen und schreiben können. Entsprechend haben sie Mühe, Texte zu verstehen und Texte zu verfassen.
Das Bundesamt für Statistik geht zudem davon aus, dass etwa ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung über keine oder nur geringe digitale Grundkompetenzen verfügt. Also zum Beispiel nicht weiss, wie man am Laptop ein Zugbillett löst oder auf dem Handy die nächste Busverbindung findet.
Für Alma Jucker hat sich der Kurs, den sie Anfang 2021 begonnen hat, bereits gelohnt. «Ich bin noch nicht mal ein Jahr dort, aber kriege jetzt schon viele tolle Rückmeldungen aus meinem Umfeld. Meine Texte sind viel besser geworden», schwärmt sie.
Mit ihr in der Klasse sind sechs weitere Lernende, die ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben. «Trotzdem kommen in dem zweistündigen Kurs alle zum Zug», sagt Alma Jucker. In der ersten Lektion sitze die Gruppe jeweils zusammen und schaue sich die Grundbausteine der deutschen Sprache an wie zum Beispiel Verben oder Adjektive. In der zweiten wiederum könne jede und jeder an individuell gesteckten Quartalszielen arbeiten.
«Früher habe ich meine beruflichen Stationen so gewählt, dass möglichst niemandem auffallen konnte, welche Schwierigkeiten mir Lesen und Schreiben bereiten. Dank des Kurses ist dies nun nicht mehr nötig.»
(Désirée Klarer)
Die nationale Kampagne «Einfach besser!» hat primär zum Ziel, Erwachsene, die Schwierigkeiten im Bereich der Grundkompetenzen haben, zu einem Kursbesuch zu motivieren. Eine Übersicht der Kurse findet sich auf www.besser-jetzt.ch oder via Hotline: 0800 47 47 47. Die Trägerschaft der Kampagne bilden die Interkantonale Konferenz für Weiterbildung (IKW) und der Schweizer Dachverband Lesen und Schreiben. Unterstützt werden sie dabei unter anderem von verschiedenen Kantonen.