Serie: Zeitreise, Teil1. Über hundert Jahre lang verdrängten Küchenchefs Frauen aus den Hotelküchen. Dabei waren diese ursprünglich in Frauenhand.
Vreni Giger, Tanja Grandits, Meta Hiltebrand, Rebecca Clopath – alles kochende Frauen, die aus der Schweizer Gastronomieszene nicht mehr wegzudenken sind. Jede ist erfolgreich, prägt die Branche, setzt Akzente. So, wie es vor Generationen bereits andere grosse Köchinnen gemacht haben. Deren Namen sind, im Gegenzug zu denen berühmter Köche wie beispielsweise Auguste Escoffier, leider in Vergessenheit geraten.
Das ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer gesellschaftlichen Veränderung. Diese hat in Bezug auf die professionelle Küche geradezu paradoxe Formen angenommen. Bis Ende des 19. Jahrhunderts war Kochen vorwiegend Frauensache. Dies nicht nur in den Familien, sondern auch in Gasthäusern und Grosshaushalten adliger Familien. Es gab vereinzelt Köche, vor allem in den Königspalästen, doch die standen oft im Ruf, «weibisch» zu sein.
Als um 1890 immer mehr grosse Hotels gebaut wurden, stieg der Bedarf nach Köchen und Küchenpersonal. Die Direktoren dieser Hotelpaläste wollten sich zudem von den Mitbewerbern abheben und versuchten, sich konstant zu übertrumpfen. Sei es durch noch schönere Bauten, noch exklusivere Freizeit- und Unterhaltungsangebote oder eben dadurch, dass ein Mann kochte.
Die neue Grösse der Equipen machte das Führen einer Küche nun auch für ehrgeizige Männer interessant. «Werte wie Unerschrockenheit, Hierarchiedenken, Autorität, Durchsetzungskraft und Disziplin waren wichtig», schreibt Martine Bourelly, Autorin einer Diplomarbeit zum Thema Chancengleichheit.
Während um 1900 die ersten Frauen auf der Strasse dafür demonstrierten, Universitäten besuchen und wählen zu dürfen, verdrängten kochende Männer wie Auguste Escoffier die Frauen vom Hotelküchenherd. Paradoxerweise blieb das Kochen im Privathaushalt weitestgehend in Frauenhand. Dafür blühte nun in vielen Küchen das Machogehabe.
Ganz aus der Hotelküche verbannt wurden die Frauen nicht. Sie durften als Rüsterinnen zudienen. Hatten sie eigene Stationen, dann waren sie für die kalte Vorspeise oder das Dessert zuständig. Die warmen Vorspeisen und Hauptgänge waren die Domaine der Männer. Die Küchenangestellte, die für die Salate und Hors d’œuvre zuständig war, nannte man «kalte Mamsell».
Die Männer versuchten nicht nur mit verniedlichenden Begriffen die Frauen in der Küche klein zu halten, sondern auch bei der Ausbildung. So dauerte die Lehre als Köchin nur zwei Jahre. Die zum Koch hingegen drei. Es gab Frauen, welche die dreijährige Lehre absolvierten. Sie wurden als «weiblicher Koch» bezeichnet.
Männer schützten ihren Platz am Herd auch mit Argumenten wie: «Frauen können sich nicht durchsetzen und kein Team führen» oder «Frauen sind zu schwach, um Töpfe zu heben und die Hitze am Herd auszuhalten». Es wurde sogar behauptet, der Geruchs- und Geschmackssinn von Frauen sei unterentwickelt. Sie könnten daher Aromen nicht richtig erkennen und Speisen nicht korrekt abschmecken.
Was für ein Blödsinn das ist, bewies Eugénie Brazier, besser bekannt als Mère Brazier. Sie geht nicht nur als Lehrmeisterin der französischen Spitzenköche Paul Bocuse und Bernard Pacaud in die Geschichte ein. Sie ist auch die erste Person, die in jedem ihrer zwei Restaurants mit drei Michelinsternen (1932 und 1933) ausgezeichnet wurde. Und sie gilt als Begründerin der modernen französischen Küche.
Mère Brazier ist nicht die einzige Köchin, die sich an den Herd zurückkämpfte. Frankreich hatte mehrere erfolgreiche Mères. Die erste schriftlich dokumentierte Spitzenköchin ist Mère Guy. Sie eröffnete 1759 ein Restaurant. Ihre Enkelinnen traten als «la Génie» und «Madame Maréchal» in ihre Fussstapfen. Einen kleinen Boom erlebten die Mères nach dem Börsen-Crash von 1929. Wohlhabende Familien mussten ihr Personal entlassen. Das führte dazu, dass die Köchinnen sich mit Gasthäusern selbständig machten. Die Gastronomie profitiert noch heute von ihnen. Als Rezeptgeberinnen für Menüs wie Forelle Müllerin Art und Soufflé-Omelette oder als Vorbilder für neue Generationen selbstbewusster Köchinnen.
(Riccarda Frei)
Die Hotel & Gastro Union setzt sich seit 130 Jahren für die Arbeitnehmenden in der Hotellerie und Gastronomie ein. Ebenfalls ein hohes Jubiläum feiert Gastrosuisse. Den Verband der Wirte gibt es seit 125 Jahren. Grund genug, sich einmal anzuschauen, wie sich die Berufe, die Arbeit und das Leben im Gastgewerbe seither verändert haben.
Die Serie «Zeitreise» entsteht in Zusammenarbeit mit Evelyne Lüthi-Graf. Sie ist Historikerin, Archivarin und Geschäftsleiterin Hotelarchiv Schweiz. Das Hotelarchiv Schweiz ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich um historisch wertvolle Dokumente und Gegenstände kümmert.<link http: www.hotelarchiv.ch>
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