Mineralik im Wein ist weniger eine Frage des Bodens als der Rebsorte und des Klimas.
Minerale sind kristalline Verbindungen. Mineralstoffe braucht jeder Organismus zum Überleben, kann diese jedoch nicht selber herstellen. So braucht der Mensch grosse Mengen Kalzium, aber nur winzige Dosen Eisen oder Zink.
Ein Liter Wein enthält 1,5 bis 3 Gramm Mineralstoffe. Das ist vergleichbar mit Mineralwasser, jedoch weniger als in Milch. Als «mineralisch» bezeichnete Weine werden allgemein als elegant, schlank, sauber, mit klarer Säure beschrieben. Sie duften nach Kreide oder nasser Schiefertafel. Ihr Geschmack wird seidigschmirgelnd «wie das Lecken an einem nassen Stein» wahrgenommen. Auch Erde, Jod, Graphit und Zitrusfrüchte sowie ein frischer, feuersteinartiger, rauchiger Charakter sind Attribute. Mineralität wird in Weiss- und Rotwein wahrgenommen und sie ist kein ausgesprochener Charakterzug von Wein aus Europa. Sensoriker sagen, die Mengen an Mineralien im Wein seien so klein, dass kein Mensch diese wahrnehmen könne. Nur Kalium und Kalzium sind in einer Konzentration von etwa einem Gramm pro Liter vorhanden und lösen keine sensorische Empfindung aus.
Der Begriff «Mineralität» stammt aus den 1980er-Jahren. Er wird erst in der vierten Ausgabe des «Oxford Companion to Wine» von 2015 beschrieben. (Adobe-Stock)
Es gibt bisher keine einheitliche Definition von «Mineralität» und trotzdem ist der Begriff für viele Weinliebhaber nachvollziehbar.
Sam Harrop, ein neuseeländischer Weinmacher, Autor und Master of Wine, glaubt, dass aromatische Noten aus verschiedenen Sulfidkomplexen sowie strukturelle Komponenten wie pH-Wert, Säure, Komplexität und zu einem geringeren Ausmass auch Bitterkeit eine Rolle spielen. Die Bezeichnung «Fruchtbitter» ist in Fachkreisen ein vielverwendeter Begriff. Zudem zeigen Weine, die nur teilweise den biologischen Säureabbau durchliefen, wegen der Komplexität ihres Säureprofils ein erhöhtes «mineralisches» Potenzial. Bernsteinsäure kann ein wichtige Rolle in der «mineralischen» Debatte spielen und ist wie die Milchsäure weinbereitungsrelevant. Höhere Mengen von Bernsteinsäure entstehen beispielsweise in unkontrollierten, spontanen Fermentationen.
Sam Harrop, Master of Wine
Eine «mineralische» Textur tritt deutlicher in Weinen zutage, die während der Vinifikation wenig Sauerstoff ausgesetzt waren – also reduktiv ausgebaut wurden. Vorerst können die Geheimnisse der «Mineralität» in einer Formel ausgedrückt werden: (SS+A+CC)–(E+T)–(O2) = Mineralität. In Worten: Weine von steinigen Böden (SS) und kühlen Klimazonen (CC) mit prägnanter Säure (A), mit geringen fruchtigen Aspekten der Ester und Thiole (E+T) und mit unerheblicher Sauerstoffaufnahme (O2) bei der Vinifikation sind «mineralisch». Wer diesen Weintyp liebt, kann die Begriffe als Suchwörter für solche Weine verwenden.
(Gabriel Tinguely)