Ein Dessert muss nicht immer süss sein. Wie wäre es mit Entenleber, Austern oder Rotkraut? Eine süss-herbe Grenzüberschreitung.
Algen, Schwarzwurzeln, Hühnerhaut oder Fichtennadeln als Menü-Abschluss? Durchaus denkbar in der Pâtisserie von morgen. «Hinterm Gemüse gehts weiter – ungewöhnliche Zutaten im Dessert» lautete das Motto des Sweet Tank des Gourmet-Portals Sternefresser.de. Bereits zum vierten Mal trafen sich in Hamburg hochklassige Pâtissiers zum Ideenaustausch und zum deftigen Experimentieren jenseits von Schokolade und Gemüse. Randen, Gurken oder Kohlvariationen haben schon seit einiger Zeit ihren Platz auf den Desserttellern gefunden. Nun wurde es Zeit, sich Meeresfrüchten, Innereien oder Getreide zu widmen.
Ist es noch ein Dessert oder schon eine Vorspeise? Genau um diese Grenzüberschreitungen drehte sich der Workshop. Jeder der neun Spitzenpâtissiers aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden kreierte seine eigene Interpretation eines Desserts von morgen. Christian Hümbs aus dem zweifach besternten «Haerlin» in Hamburg drang dabei in den Wald vor. Die Basis aus Buchweizen, Birne und Schwarzwurzel umspielte er mit Tannennadeln, echtem Laub und Zweigen. Den knisternden Waldboden inszenierte Hümbs mit einem Fichtennadel-Sorbet und Moos.
Auch der Österreicher Roman Hütter suchte ausserhalb der Backstube nach Inspiration und erfand ein traditionelles Weihnachtsgericht neu. Statt Ente mit Rotkraut kreierte er in Apfelsaft marinierten Chicorée mit einer Füllung aus geschäumtem Rotkohl, wilder Schlehe und Entenleber.
Weitere experimentierten mit Austern, Hühnerhaut oder Curry. An Mut fehlte es nicht, bei allen stellte sich jedoch die Frage: «Wo sind die Grenzen der Gäste?» Schokoladige, sahnige und fruchtige Noten sind bei vielen immer noch Favorit. Sind die Gäste bereit, eine andere Art der Nachspeise zu erleben? «Man muss die Süsse schmecken, das ist bei einem Dessert wichtig. Ob diese jedoch aus Früchten, Gemüse, Wurzeln oder auch Fisch gewonnen wird, spielt keine Rolle», erklärt André Siedl, Pâtissier im Zürcher Sternerestaurant Ecco. Auch er war beim süss-herben Experiment dabei, arbeitete jedoch zum zweiten Motto des Workshops «No death by Chocolate», denn auch in Zukunft wird Schokolade ein Klassiker bleiben. Er kombinierte ein Sorbet und ein leichtes Schokomousse mit flüssigem Sauerkirsch-Tonkabohnensud sowie einen Crémeux mit Cru de Cacao. «Der klare Trend geht hin zu mehr Leichtigkeit. Schwere Rahmkompositionen sind weniger gefragt. Dagegen leichte Zutaten mit prägnantem Geschmack», sagt Siedl.
Die Zutaten und Techniken für innovative Dessertideen sind da, die Köche sind soweit. Die Gäste jedoch noch nicht, wie Siedl prophezeit. Man muss sich als Pâtissier langsam an die neue Süsse vortasten, dann wird auch der Gast das Vertrauen gewinnen.
(Anna Shemyakova)