Kirsch hat es hierzulande schwer. Dabei hat sich das Destillat in den letzten Jahren zum Edelbrand gemausert. Doch wie steht es um den Jahrgang 2017?
Gibt es nach den verheerenden Frostnächten von Ende April Kirschen oder nicht? Standortbesichtigung in Seltisberg/BL: Eigentlich wäre jetzt im Obstgarten Erntezeit der süssen, vitaminreichen Früchte. Sattgrün hängen die Blätter an den Ästen, doch von den gut hundert Obstbäumen trägt kein Dutzend Kirschen. Ein Bild, das in der Nordwestschweiz dieses Jahr leider fast Standard ist. «Unsere Landwirte geben uns unterschiedliche Feedbacks», sagt Andreas Gerber von der Spezialitätenbrennerei Ernst Zuber AG in Arisdorf/BL. «Die einen verzeichnen eine schlechte Ernte, die anderen erzielen eine bessere als letztes Jahr, weil sie 2016 von der Kirschessigfliege betroffen waren und nichts ernten konnten.»
Je nach Region ist es bereits das vierte Jahr in Folge mit einer unterschiedlich guten Kirschenernte. Im einen Jahr regnete es zu viel, im anderen zu wenig. Dann kam die Kirschessigfliege, und in diesem Jahr beeinflusste Väterchen Frost die Ernte. Auch in der Zentralschweiz liegen die Ernteergebnisse unter den Erwartungen. «Für die Innerschweiz rechnen wir mit einer Kirschenernte von über 100 Tonnen», sagt Beatrice Rüttimann vom Schweizer Obstverband. Im Vergleich: Letztes Jahr wurden in den Kantonen Zug, Schwyz und Luzern über 240 Tonnen geerntet. Und dieser Ertrag, so Rüttimann, habe ebenfalls unter dem jährlichen Durchschnitt gelegen. Gesamtschweizerisch rechnet sie alleine bei Anfang April sah alles noch rosig aus: Schweizweit blühten die Kirschbäume wunderschön. Ende April vernichtete aber der Frost einen Grossteil der Ernte.
In guten Jahren produzieren die Landwirte mittlerweile jährlich rund 2000 Tonnen Tafelkirschen und gut 3000 Tonnen Brennkirschen. Letztere werden nach wie vor hauptsächlich zur Kirschherstellung verwendet. Ein Gläschen Kirsch gehört in jedes Fondue. Für die Pâtisserie, wie etwa die Zuger Kirschtorte oder das Baselbieter Kirschstängeli, ist die Spirituose unerlässlich. Doch Kirsch, pur getrunken, gilt in der Bevölkerung bis heute bei vielen nicht als Genussmittel.
Die Wurzeln für das schlechte Image von Kirsch liegen in der Alkoholpolitik des Bundes. 1887 wurde die Eidgenössische Alkoholverwaltung (EAV) gegründet. Statt des gesundheitsschädlichen Trinkens von gebranntem Mostobst sollte die gesunde Ernährung gefördert werden. 1932 erhielt die EAV mit dem Bundesgesetz über die gebrannten Wässer dafür eine gesetzliche Grundlage.
Schweizer Destillate galten in jenen Jahren nicht als Kulturgut, sondern als Gefahr für die Volksgesundheit. Die EAV kontrollierte jeden Liter Schnaps. Bis 1997 konnten die Brennereien ihre Erzeugnisse notfalls an die EAV verkaufen. Es war vom Schnapsmonopol die Rede, das eine Genusskultur von einheimischen Obstbränden verhinderte. Die EAV garantierte den Destillerien ein Auskommen und verschonte sie mit hohen Zöllen vor ausländischer Konkurrenz.
Als Ende der 1990er-Jahre diese Zölle fielen, gerieten die Schweizer Destillerien stark unter Druck. Whisky, Cognac und Grappa stahlen einheimischen Obstbränden die Show. Deren Verkaufsanteil sank innerhalb weniger Jahre von 80 auf 15 Prozent. In vielen Brennereien fehlte während des Schnapsmonopols das Qualitätsbewusstsein, das erst wieder entdeckt werden musste. Dass dieses Ziel erreicht worden ist, zeigen die Erfolge, welche Brennereien auf nationaler und internationaler Bühne feiern.
Einer, der im Ausland regelmässig abräumt, ist Ernst Beeler von der Arnold Dettling AG. Die Brennerei in Brunnen hat eine lange Tradition, deren Wurzeln bis 1867 zurückreichen. Just zum 150-jährigen Firmenjubiläum errang Brennmeister Beeler an der World Spirit 2017 gleich mehrere Auszeichnungen. Zum zehnten Mal in Folge gewann er den Titel World Class Distillery und zum fünften Mal den Titel Distillery of the Year. Damit darf sich die Arnold Dettling AG zu den drei besten Brennereien der Welt zählen.
Für den Kirschjahrgang 2017 hat Ernst Beeler keine Bedenken: «Unser Einzugsgebiet liegt unter 500 Metern, die Kirschbäume wurden hier glücklicherweise nicht so stark von der Kältewelle erfasst wie andernorts», weiss er zu berichten. Zudem dürfte sein Kirschvorrat noch zwei bis drei Jahre reichen.
Dass in den letzten Jahren nicht in allen Regionen ausreichend Brenngut für die Schnapsherstellung vorhanden war, spornte Brenner Andreas Gerber von der Ernst Zuber AG zur Weiterbildung an. Über den letzten Winter liess er sich in Süddeutschland zum Edelbrandsommelier ausbilden. «Zwar bietet auch Gastrosuisse eine solche Ausbildung an, doch dort liegt der Fokus auf den Getränkekarten», so Andy Gerber. Der deutsche Lehrgang beinhaltet dies zwar auch, doch wird dem Brenntechnischen mehr Gewicht beigemessen.
Andreas Gerber bildet zusammen mit seinem Bruder die dritte Generation der Ernst Zuber AG, die 1933 von Gerbers Grossvater gegründet wurde. Dieser hatte gute Beziehungen zu Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler. Noch heute ist die Migros Nordwestschweiz einer der grössten Abnehmer des Zuberschen Kirschwassers. Sie stellt damit Pâtisserie her, unter anderem eine Torte, die passend zum verwendeten Schnaps statt Zuger Kirschtorte Zuber Kirschtorte heisst. «Aufmerksame Kunden wiesen die Verkäuferinnen auf den vermeintlichen Schreibfehler hin», sagt Gerber mit einem Schmunzeln.
(Ruth Marending)