Einst war Bondola die Hauptrebsorte im Tessin. Dann kamen die Reblaus und der Merlot.
Die aus Amerika eingeschleppte Reblaus hat den Rebbau in ganz Europa verändert, so auch im Tessin. Anlagen mit alten Reben wurden durch neue ertragreichere und einfacher zu kultivierende Sorten ersetzt. Im Tessin übernahm die Merlotrebe ab 1906 die Hauptrolle und das Ensemble der angestammten Reben wurde zu Statisten degradiert. Dazu gehörten unter anderem die Spanna genannte Nebbiolo, die Paganona und die Bondola.
Bondola wurde im Jahr 1785 von Hans Rudolf Schinz beschrieben. Der reformierte Zürcher Pastor verbrachte viel Zeit im Tessin und katalogisierte rund 30 vorgefundene Rebsorten. Neue DNA-Profile haben ergeben, dass Bondola mit der Sorte Briegler in der Deutschschweiz identisch ist. Auch wurde mittels DNA festgestellt, dass aus natürlichen Kreuzungen von Bondola und Completer die Sorten Bondoletta und Hitzkircher entstanden. Alle sind vom Aussterben bedroht.
Laut dem Bundesamt für Landwirtschaft gab es Ende 2023 noch 8,21 Hektar Bondola. Verbreitung findet sie im Sopraceneri von Ascona über Tenero, Gudo und Bellinzona bis ins Misox. Stefano Haldemann von der Azienda Vitivinicola La Segrisola in Gudo besitzt als einziger Winzer einen halben Hektar Bondoletta.
Bondola-Weine werden in Stahltanks, in Amphoren aus Terracotta oder Eichenfässern ausgebaut. Ihr durchschnittlicher Alkoholgehalt liegt bei zwölf Volumenprozent. Die kräftige Säure und oft rustikalen Tannine verleihen den Weinen Ecken und Kanten. Beste Jahrgänge haben das Potenzial zur Reife. Mit ihren wilden eher rotfruchtigen und würzigen Aromen sind Bondola-Weine ideale Begleiter zu Pasta, Risotto, Polenta und Schmorgerichten aller Art.
Um diesen ursprünglichen Wein zu fördern, haben sechs Produzenten und Slow Food Ende 2023 ein Presidio gegründet. Jahrgang 2022 trägt als Erster das Slow-Food-Label. Von den sechs Presidio-Bondola war der Wein von Stefano Haldemann bereits ausverkauft. Er darf der Vollständigkeit halber jedoch nicht fehlen.
Einige Winzer, die Bondola sortenrein abfüllen, sind (noch) nicht Mitglied des Presidio. Zudem verwenden weitere Winzer ihre kleine Bondola-Produktion für Assemblagen.
(Gabriel Tinguely)
Tiziano Tettamanti von der Cantina Pian Marnino in Gudo kelterte einen tief violetten Wein mit wildem Bouquet, das an Kirschen, Hagebutten und Gewürznelken erinnert. Im Gaumen hat der Wein trotz Ecken und Kanten einen guten Schmelz.
pianmarnino.com
Der «Nonu Mario» hat Kultstatus. Mit ihm ist Giorgio Rossi seit dem Jahrgang 2007 Mitglied beim Mémoire des Vins Suisses. Der Wein duftet nach Veilchen, roten Kirschen und Erdbeeren. Im Gaumen ist er saftig, ausgewogen, elegant und lang.
aziendamondo.ch
Beim Bondola von Luca Locatelli von Chiericati Vini in Bellinzona versteckt sich die rotbeerige Frucht hinter Rauch-, Leder- und Gummi-Noten. Saftige Säure macht den Gaumen wässrig. Strenger Körper mit adstringierenden Tanninen im Abgang.
chiericati.ch
Die 30-jährigen Reben der Cantina alla Maggia wachsen auf Schwemmland. Der heisse und trockene Sommer spiegelt sich im Glas. Der Wein von Fabio Del Pietro duftet dunkelbeerig. Am Gaumen trägt die pikante Säure Noten von Dörrpflaume und Kaffee.
cantinaallamaggia.ch
Stefano Haldemann aus Gudo ist der einzige Winzer im Presidio, der auch ein paar Aren Bondoletta sein Eigen nennt. So besteht der gradlinige, kernige Wein zu 65 Prozent aus Bondola und 35 Prozent aus Bondoletta. Der Wein ist rasch ausverkauft.
haldemannvini.ch
Vasile Moisei von der Cantina Ronchi Biaggi in Cadenazzo kelterte einen intensiv nach roten Kirschen und Walderdbeeren duftenden Wein. Am Gaumen wirken die Tannine erst pelzig. Nach einiger Zeit im Glas tritt die Frucht in den Vordergrund, was den Wein sehr zugänglich macht.
Zincarlin-Käse aus dem südlichsten Tal des Tessins, Ur-Roggenbrot aus dem Wallis oder im Tafeljura die Zwetschgenlandschaft sind Projekte, welche Slow Food und der Coop Fonds für Nachhaltigkeit in der Schweiz umgesetzt haben. Im neuesten Projekt ging es um die Rebsorten Bondola und Bondoletta. Mit diesem einzigen Wein-Presidio der Schweiz sind die Crus aus den autochthonen Tessiner Reben in bester Gesellschaft. So befindet sich unter den weltweit 43 Wein-Presidi die 8000-jährige Tradition der Weinbereitung in Kvevri, wie die Amphoren aus Terracotta in Georgien genannt werden. Nur noch wenige Handwerker verstehen sich auf deren Herstellung.
In Österreich gibt es Presidi für den Roten Veltliner vom Wagram und den Wiener Gemischten Satz. Der Rote Veltliner ist mit dem Grünen Veltliner nicht verwandt. Er war jedoch natürlicher Kreuzungspartner bei den Sorten Neuburger, Zierfandler und Rotgipfler. Für den Wiener Gemischten Satz müssen mindestens drei Rebsorten im gleichen Weingarten stehen und die Trauben müssen zusammen gekeltert werden.
Weitere Wein-Presidi gibt es für Süssweine aus getrockneten Trauben aus Italien. Auch Kroatien, Spanien, Nordmazedonien und Aserbaidschan sind mit erhaltenswerten Raritäten vertreten.
(gab)