Nach zwei Jahren Pandemie herrscht auf den Seen wieder Hochbetrieb. Die Tische der Gastronomie sind voll besetzt. Um die Passagiere bewirten zu können, sind bei der Mitarbeitendensuche neue Strategien gefragt.
Zwei Sommer lang waren die Decks der Schweizer Fluss- und Seeschiffe nur dürftig besetzt. Das Tagesgeschäft war geprägt von Schutzmassnahmen, viele Events mussten abgesagt oder verschoben werden. Die Personenschiffe beförderten im ersten Pandemiejahr 2020 laut dem Bundesamt für Statistik sechs Millionen Passagiere. Halb so viele wie in den Vorjahren. Diesen Sommer fahren sie nun endlich wieder: der Brunch-Dampfer, das Cordon-bleu-Schiff, das Whisky-Boot und viele mehr.
Nach einer schwierigen Zeit kann die Schiffsgastronomie in dieser Sommersaison wieder durchstarten. Seit die Zertifikatspflicht im Frühjahr gefallen ist, steigen die Buchungszahlen stetig an, sagt Karin Ahlmalm, Leiterin Gastronomie Vierwaldstättersee bei der Tavolago AG. Stark spürbar sei der Nachholbedarf bei den Anlässen mit Schiffsmiete. Das Niveau von vor der Krise sei schon fast wieder erreicht.
Auch in der Ostschweiz hätten die Leute wieder Lust aufs Schifffahren, erzählt Markus Wilda, Leiter Marketing und Verkauf bei der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt AG. «Eine besonders starke Zunahme spürten wir nach dem Ende der Maskenpflicht.»Sofern es im Herbst keine bösen Überraschungen gäbe, könnten die Charter-Fahrten dieses Jahr gar das Niveau von 2019 übertreffen, so Wilda.
Das milde Frühlingswetter bescherte auch der BSG Bielersee Schifffahrtsgesellschaft einen guten Saisonstart. Geschäftsführer Thomas Mühlethaler gibt sich zuversichtlich, dass die Passagierzahlen dieses Jahr wieder das Vorkrisenniveau erreichen. Die BSG hatte 2021 neben dem Coronavirus auch noch mit Hochwasser zu kämpfen, was für die Mitarbeitenden der Bielersee-Gastro AG eine nie dagewesene Challengegewesen sei. Mit «grossem Willen und unerschütterlicher Zuversicht» habe das Team versucht, der fehlenden Planungssicherheit zu begegnen, so Mühlethaler. Zudem habe man die Pandemiezeit genutzt, um das Menüangebot auf dem Schiff zu verbessern.
Auf dem Zürichsee wagten die Schiffsgastronomen Anfang 2022 einen kompletten Neustart. Der bisherige Pächter der Zürichsee Gastro Roland Thalmann spannt neu mit dem Restaurantbetreiber Samuel Vörös zusammen. Diebeiden verpassten der ZürcherSee-Gastronomie einen neuenAnstrich. Die Bordküche wirdlokaler und nachhaltiger, Produkte aus eigener Herstellung und die Zusammenarbeit mit Spitzenköchen wie Tobias Buholzerspielen eine grössere Rolle. Unter dem Motto «Jeden Monat eine neue Welt» wollen die Gastgeber ausserdem kulinarische Schwerpunkte setzen. Diesen Sommer gibt es unter anderem Mezze,Chicken Wings und BBQ.
«Wir sind zufrieden mit dem Start», sagt Roland Thalmann. Die Gästefrequenz sei relativ gut, obwohl das neue Konzept auch mit einer höheren Preisklasse einhergeht. Insbesondere das Japan-Schiff, mit dem die kulinarische Reise im Januar lanciert wurde, kam bei den Gästen gut an und sorgte für einen besseren Start als erwartet. Thalmann rechnetdamit, dass die Zahlen bei den Kursfahrten und eigenen Events gegen 90 Prozent derer von 2019 erreichen werden. Bei den Anlässen hinke man derweil noch etwas hinterher. «Insbesondere die ausländischen Kunden sind noch etwas zurückhaltend.»
Der Sommer auf den Schweizer Seen dürfte ein guter werden, sofern auch das Wetter mitspielt und Sommerstürme und Hochwasser nicht wie letztes Jahr die Saison trüben. Auch in der Schifffahrtsbranche ist jedoch der Fachkräftemangel in der Gastronomie ein Dauerthema. Zahlreiche Stellen für die Sommersaison sind noch offen, die Unternehmen versuchen auf diversen Kanälen händeringend, passende Stellensuchende zu erreichen.
Die schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt die Betreiber stark. Es seien zwargenügend Mitarbeitende da, um sämtliche Anlässe durchführen zu können, sagt Markus Wilda von der Bodensee-Schifffahrt. Doch auch die Schifffahrtsgesellschaft habe einzelne Mitarbeitende in der Krise an andere Branchen verloren, und die Besetzung offener Stellen sei eine stetigeHerausforderung. «Die meisten Mitarbeitenden haben uns aber trotz Corona die Treue gehalten», freut sich Wilda. Darunter seien auch einige, welche die Wintersaison jeweils in den Schweizer Skigebieten absolvieren und im Sommer an Deck stehen.
Deutliche Worte zur aktuellen Situation findet Thomas Mühlethaler von der Bielersee-Schifffahrt. Die Lage sei katastrophal, sagt er. «Es herrscht ein grosser Fachkräftemangel und auch branchenfremde Mitarbeitende sind in der Schweiz nur sehr schwer zu finden.» Bei der Bielersee-Gastro AG habe man sich deshalb dazu entschieden, auch im grenznahen Ausland Personal zu rekrutieren.
Auch Roland Thalmann von der Zürichsee Gastronomie klagt über fehlende Fachkräfte. «Wir suchen nonstop, für alle Bereiche.» Ebenfalls ein Problem seien kurzfristige Absagen von Mitarbeitenden, obwohl diese bereits einen Vertrag unterzeichnet hätten. Die Zürichsee Gastro versucht auch über die sozialen Medien, mögliche zukünftige Köchinnen oder Servicemitarbeitende anzusprechen. Auch da sei der Rücklaufjedoch bescheiden, so Thalmann. «Wir bieten einen zusammenhängenden Dienst ohne Zimmerstunde», sagt der Geschäftsleiter. Die angesammelten Überstunden des geschäftigen Sommers könnten dann im Herbst mit längeren Ferien kompensiert werden. Auch Weiterbildungen unterstütze man gerne, sofern die Mitarbeitenden das wollen, so Thalmann.
Die Gastronomie Vierwaldstättersee geht dieses Jahr neue Wege, um Mitarbeitende für Küche und Service zu rekrutieren, wie Karin Ahlmalm erklärt. «Die Situation war schon immer schwierig, aber mit der Krise hat sich die Lage zugespitzt.» Insbesondere in der Küche sei der Fachkräftemangel stark spürbar. Tavolago setzt daher auf so genannte Mitarbeiter-Abonnemente.
Das bedeutet, dass Mitarbeitende im Kernteam und Saisonniers zwischen verschiedenen Verträgen wählen können – mit fixem Pensum oder auf Stundenlohnbasis. Wer beispielsweise ganzjährig im Kernteam angestellt ist, arbeitet ohne Zimmerstunde und mehrheitlich tagsüber. Die fest angestellten Mitarbeitenden sollen zudem in den Wintermonaten von Weiterbildungsangeboten profitieren. Saisonniers mit befristeten Arbeitsverträgen absolvieren bei einem 100-Prozent-Pensum maximal drei Zwölf-Stunden-Arbeitstage in der Woche bei höherem Lohn. Auch hier sind kleinere Pensen und eine Anstellung im Stundenlohn möglich.
Auch bei der Rekrutierung geht Tavolago neue Wege. So arbeitet das Unternehmen mit dem Verein The Büez zusammen, der langzeitarbeitslosen jungen Erwachsenen ermöglicht, wieder im erstenArbeitsmarkt Fuss zu fassen. Zusätzlich setzt die Vierwaldstättersee-Gastronomie auf Rekrutierungsvideos auf Social Media.
Die flexiblen Jobangebote kommen laut Karin Ahlmalm gut bei den Mitarbeitenden an. Allerdings wächst mit der Flexibilität auch der Planungsaufwand. Es gelte, die passenden Konstellationen von Mitarbeitenden mit tieferen und höheren Pensen zu finden. Tavolago nimmt diesen Mehraufwand in Kauf: «Die Ansprüche der Mitarbeitenden sind gestiegen. Darauf müssen wir eingehen», so Ahlmalm.
(Alice Guldimann)
140
öffentliche Personenschiffe verkehrten 2020 auf Schweizer Gewässern. 16 davon sind Dampfschiffe.
2020 legten die Schiffe 80-Millionen Personenkilometer zurück.
21 181
Personen transportierte die Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees am stärksten Tag des letzten Jahres, dem 5. September.
160
Jahre lang transportiert die Schweizerische Bodensee-Schifffahrt bereits Passagiere auf dem Bodensee.
140 Personenbetreiben bei derBielersee-Gastro AG neun Bord-Restaurants und drei Betriebe an Land.
360 000
Kilometer legen die Schiffe der Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft im Jahr zurück.
Der Verband Schweizerischer Schifffahrtsunternehmen hat 16 Mitglieder. Er wurde im Jahr 1898gegründet.
Quellen: Bundesamt für Statistik, Webauftritte der genannten Schifffahrtsbetriebe.
Andrea Michel, Sie arbeiten als Chef de service auf dem Vierwaldstättersee. Wie sind Sie zur Schiffsgastronomie gekommen?
Ich habe eine neue Herausforderung gesucht und wollte Einblick in die Gastronomie auf dem Wasser gewinnen.
Wie sieht ein normaler Arbeitstag auf dem Schiff aus?
Die Tage sind sehr abwechslungsreich. Bei der Vorbereitung muss man die Reservationen checken und die Tische eindecken. Zudem muss ich kontrollieren, ob alles Nötige an Bord ist. Nachher kommt die Gästeverpflegung da-zu und teilweise noch die Vorbereitung einer Abendfahrt.
Nach zwei Jahren Pandemie läuft der Betrieb auf den Seen wieder. Wie fühlt sich das an?
Ich finde es toll. Unsere Schiffe sind wieder voll mit allen möglichen Nationalitäten, auch die Stammgäste sind zurück. Das hat mir sehr gefehlt.
Sie haben Ihren Berufsweg an Land gestartet. Was sind im Vergleich die Vor- und Nachteile der Arbeit auf dem See?
Die Arbeitszeiten sind für dieGastronomie angenehm, da die Gäste nicht bleiben können, solange sie wollen. Dazu kommt die tolle Aussicht vom Schiff. Wenn allerdings etwas nicht an Bord ist, kann es nicht rasch eingekauft werden. Es ist dann entweder komplett aus oder muss von einem anderen Schiff geschickt werden.
Wie verbringen Sie die Wintersaison?
Ich arbeite auch im Winter Vollzeit auf dem See. Da haben wir Themenfahrten wie Fondue, Raclette oder Fajita. Zudem nutze ich die Winterzeit für meine Ferien.
Andrea Michel (28) arbeitet seit 2017 bei der Gastronomie Vierwaldstättersee, seit 2021 als Chef de service. Die gelernte Hotelfachfrau war zuvor im Romantik Hotel Schweizerhof in Grindelwald/BE und im Golfclub Sempachersee/LU tätig. Sie hat sich zur Chef de cave und zur Berufsbildnerin weitergebildet.
Zürichsee Schifffahrtsgesellschaft:
zsg.ch
Schweizerische Bodensee-Schifffahrt:
bodensee-schiffe.ch
Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees/Tavolago AG:
lakelucerne.ch und tavolago.ch
Bielersee-Schiff-fahrtsGesellschaft AG:
bielersee.ch