Bier und Hochprozentiges haben nichts miteinander zu schaffen, könnte man meinen, bis man in den Genuss von Bierbrand oder hochprozentigem Eisbock kommt.
Bier gehört leider zu jenen Getränken, die irgendwann nach Ablauf ihres Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr geniessbar sind. Was den Brauereien bei starkem Überschuss bleibt, ist, das Bier entweder wegzuschütten oder weiterzuverarbeiten. «Wir nehmen angebrochene Bierfässer zurück und bringen das so gesammelte Bier ein bis zweimal im Jahr zu einer Brennerei», sagt Henri Jung, geschäftsführender Mitinhaber der Brasserie du Jorat in Ropraz/VD. Das fertige Produkt hat rund 43 Volumenprozent Alkohol. Jung sagt: «Unser Fleur de Bière eignet sich hervorragend als Digestif nach dem Essen zum Beispiel anstelle eines Grappas oder Marcs.»
Auch die Brauerei Baar aus dem gleichnamigen Ort im Kanton Zug stellt Bierbrand her. Ihr «Braumeister-Tröpfli» gibt es bereits seit Ende 2015. Inspiriert wurde die Brauerei von der alten Tradition, durch die Zweitverwertung von Bier ein hochgeistiges Wässerchen zu kreieren. «Unser Alt-Braumeister Johann Rüegg startete in Zusammenarbeit mit Altbrennmeister Eduard Bieri und der Lohnbrennerei Arnold Keiser aus Baar erste Destillationsversuche», erzählt Martin Uster, Geschäftsführer der Brauerei Baar. Die beiden experimentierten mit diversen natürlichen Zutaten. Nach sechs verschiedenen Probeläufen fanden sie schliesslich die optimale Zusammensetzung für das edle «Braumeister-Tröpfli». Durch die mitverarbeitete Melisse, den getrockneten Hopfen und einen feinen Anteil an Zi-trone erinnere das «Braumeister-Tröpfli» an einen Williams.
In diesem Jahr dürfen sich Geniesserinnen und Geniesser zudem auf eine ganz besondere Ausgabe freuen. Während der Pandemie beschloss Uster, einen Teil des bereits destillierten Bieres in einem 500-Liter-Sherry-Fass zu lagern. «Daraus werden wir einen Jubiläumsbierbrand in limitierter Auflage herstellen, den wir dieses Jahr unserem 160-jährigen Bestehen widmen werden.»
Auch die Rugenbräu AG aus dem Berner Oberland widmete einen fassgelagerten Bierbrand einem Jubiläum. Allerdings nicht jenem der Brauerei, sondern dem 20-jährigen Jubiläum des Bierbrands selbst.
Im Jahr 1999 präsentierte die Rugen Distillery, die sich unter demselben Dach wie die Brauerei befindet, den ersten in der Schweiz destillierten Bierbrand. «Dazu motiviert, einen Bierbrand herzustellen, war die Brauerei damals, weil sie sowohl die Rohstoffe als auch das Wissen dafür im Haus hatte», sagt Remo Kobluk, Geschäftsführer der Rugenbräu AG. Bierbrand sei in dem Sinne eine logische Abfolge des Brauereihandwerks, so der Geschäftsführer weiter. Für die Herstellung des an der Distisuisse mehrfach mit Gold ausgezeichneten «Fleur de Bière» verwendet die Rugenbräu AG speziell gebrautes, untergäriges Starkbier. «Aus 1000 Liter Bockbier entstehen 100 Liter Fleur de Bière.»
Die Motivation, nebst Bieren und Bierbränden ein hochprozentiges Starkbier herzustellen, hatte die Rugenbräu AG bisher noch nicht. «Vom Klassiker bis hin zu Spezialitäten und Brauer-Editionen ist die Vielfalt bereits jetzt sehr gross.» Das stärkste Bier der Rugenbräu AG ist das «Harder Bockbier» mit 7,2 Volumenprozent Alkohol. Gut achtmal weniger, als das stärkste Bier der Welt von Georg Tscheuschner (siehe Interview).
(Désirée Klarer)
Den Startschuss für den Wettkampf um das stärkste Bier der Welt gab 2009 der Privatfernsehsender Vox. Zumindest indirekt. Der Sender forderte den Diplom-Braumeister Georg Tscheuschner zu einem Vergleich mit dem Berliner Brauhaus Schoppebräu auf. Dieses hatte kurz zuvor das «Weltrekordbier» mit 27,6 Volumenprozent Alkoholgehalt auf den Markt gebracht. Georg Tscheuschner, der sich mit seinen Bockbieren bereits einen Namen gemacht hatte, nahm die Herausforderung an und braute ein Bier mit 31 Volumenprozent Alkoholgehalt.
Bald wurden die beiden Schotten James Watt und Martin Dickie von der Brauerei Brewdog auf Georg Tscheuschners Starkbier aufmerksam. Sie setzten es sich zum Ziel, den Deutschen zu schlagen. Ihr erster Versuch war ein Bier mit 32 Volumenprozent Alkoholgehalt namens «Tactical Nuclear Penguin».
Das liess der Diplom-Braumeister aus Gunzenhausen nicht auf sich sitzen. Er braute einen neuen «Schorschbock», dieses Mal mit 40 Volumenprozent Alkohol.
Den «Schorschbock» mit einem Alkoholgehalt von 40 Volumenprozenten konterten die Schotten mit einem 41-prozentigen Indian Pale Ale (IPA) namens «Sink the Bismarck». Darauf folgte Tscheuschners «Schorschbock» mit 43 Volumenprozent Alkohol.
2010 schliesslich brauten James Watt und Martin Dickie ein Bier mit sagenhaften 55 Volumenprozent Alkohol. Das Bier mit dem Titel «End of History» sollte dem Wettstreit ein Ende setzen. Falsch gedacht! Tscheuschner schlug auch diesen Rekord und braute mit «Schorsch-bräu 57» ein Bier mit einem Alkoholgehalt von über 57 Volumenprozent. 2020 schliesslich begruben die einstigen Konkurrenten das Kriegsbeil und brachten zusammen das derzeit stärkste Bier der Welt, «Strenght in Numbers» mit einem Alkoholgehalt von 57,8 Volumenprozenten heraus.
Georg Tscheuschner, der Alkoholgehalt Ihrer Biere beginnt dort, wo er bei den meisten anderen Brauereien aufhört. Was reizt Sie am Brauen von Starkbieren?
Anfangs war es die Suche nach neuen Absatzgebieten. Ein hoher Alkoholgehalt bedeutet schliesslich auch, dass das Bier länger haltbar ist. Dadurch konnte ich neue Märkte erschliessen und mich vom sehr hart umkämpften regionalen Absatz ein wenig lösen.
Und welche Beweggründe haben Sie heute?
Auf der einen Seite ist es die Herausforderung, die mich reizt. Diese Biere sind nicht leicht herzustellen. Auf der anderen Seite entstehen durch den aufwendigen Brauprozess sehr komplexe Aromen. Diese ermöglichen dem Endkonsumenten einzigartige Trinkerlebnisse, die sehr wenig mit dem üblichen Biertrinken zu tun haben. Das gefällt mir.
Sie haben es bereits gesagt: Die Herstellung solcher Biere ist nicht leicht. Wie verliefen Ihre ersten Versuche, hochprozentiges Bier zu brauen?
Bei den ersten, kleinen Versuchen lief viel nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Es gab zu der Zeit noch keine Lektüre, auf die man zurückgreifen konnte.
Gibt es bestimmte Hefen, Malze oder Hopfensorten, die sich besonders gut für die Herstellung von hochprozentigem Bier eignen?
Der Hopfen ist nicht so entscheidend. Was hingegen wichtig ist, sind die Malze und die Hefen. Man muss sehr gute Malze verwenden, um im Sudhaus die entsprechend hohe Stammwürze, also einen hohen Anteil an vergärbarem Zucker zu erreichen. Damit man die Würze vergären kann, braucht es Spezialhefen.
Was glauben Sie: Warum setzen viele Brauereien, wenn sie auf Hochprozentiges setzen, eher auf klassische Bierbrände als auf Starkbiere, die Spirituosen punkto Alkoholgehalt in nichts nachstehen?
Wenn mal der Absatz stockt – wie während der Pandemie –, dann kann man das Bier durch die Destillation veredeln und sehr lange haltbar machen. Das Destillieren können Brauereien zudem auch extern machen lassen. Bei der technisch sehr aufwendigen Eisbockherstellung hingegen ist das schwieriger. Und wenn ein Betrieb nicht auf die Herstellung von Eisbock ausgelegt ist, würde diese den laufenden Betrieb nur stören.
Wie viel Liter Bier brauchen Sie für einen Liter Schorschbräu Eisbock mit 57 Volumenprozent Alkoholgehalt?
Das Ausgangsbier ist immer ein 13-prozentiges Bier, das durch reine Gärung entstanden ist. Der anschliessende Eisbock-Brauprozess ist sehr verlustreich. Dem Bier wird durch das Gefrieren salopp gesagt Wasser entzogen. Was übrig bleibt, wird wieder eingefroren und so weiter und so fort.
Ein Eisbock mit 20 Volumenprozent Alkoholgehalt braucht dreimal so viel Ausgangsbier. Der Weltmeisterbock mit 57 Volumenprozent Alkohol verschlingt bis zu 40 Liter Ausgangsbier pro Liter Endprodukt.
Wie häufig muss das Bier gefroren werden, um den Alkoholgehalt von 57 Volumenprozent zu erreichen?
Rund dreissig Mal.
Sie haben sich über Jahre hinweg mit der schottischen Brauerei Brew Dog einen Wettstreit um das stärkste Bier der Welt geliefert. Letztlich haben Sie mit der Brauerei kollaboriert. Wie ist es dazu gekommen?
2010 hatte ich mir mit einem Bier mit 57,7 Volumenprozent Alkoholgehalt im Wettstreit einen vorläufigen Endpunkt gesetzt. Danach schafften unsere Brauereien das, was viele nicht schaffen: Aus Konkurrenten wurden Partner. Wir haben unser Wissen und unser Bier miteinander verschmolzen. Herausgekommen ist das Bier «Strength in Numbers». Mit 57,8 Volumenprozent Alkohol das derzeit stärkste Bier der Welt.
Getreu dem Motto: Zusammen sind wir stark?
Ganz genau. Der Name des Bieres zeigt, dass man gemeinsam mehr erreichen kann. Auch als Botschaft hinter dem Bier fanden wir das super. In Zeiten, in denen jeder nur noch für sich denkt und alle sich wie Donald Trump von der Welt abschotten, da haben wir uns zusammengetan.
Georg Tscheuschner hat in Weihenstephan (DE) Brauwesen studiert. 1996 eröffnete der Diplom-Braumeister die Brauerei Schorschbräu in Gunzenhausen in Bayern (DE). Anfangs setzte er auf helles, dunkles und Weizenbier. Seit 2004 braut er ausschliesslich Starkbiere.