Ein Restaurant, das nur Desserts serviert – klingt das nicht nach dem Paradies für Schleckmäuler und Naschkatzen? Der Spitzenpâtissier René Frank hat sich diesen Traum erfüllt.
«Sind Sie sicher, dass Ihr Restaurant hier ist», fragt mich der Taxifahrer und schaut mich mit skeptischem Blick an. «Ich warte sonst einen Moment auf Sie.» Es ist dunkel und nass, die Laternen beleuchten die Kopfsteine nur schwach. Nur ein Radfahrer holpert durch die Seitenstrasse. In einem Hollywood-Streifen käme es an dieser Stelle wohl zu einem Verbrechen. Irgendwas mit Messern, einer Entführung oder Drogen. Ich würde lieber das Restaurant finden. Hier ein Gourmet-Lokal? Am Kottbusser Tor, wo sonst Kebab, Köfte und Koks verkauft werden?
«Platz der Verdammten» nannte der «Spiegel» die Gegend in Berlin Kreuzberg. «Ort zum Fürchten» fand die «Berliner Zeitung» passend. Die «Welt» beschrieb das Kottbusser Tor als «No-Go-Area». Spätestens seit den «Kindern vom Bahnhof Zoo» kennt man es als Umschlagplatz für harte Drogen. Eine Tür wird geöffnet. «Komm rein, willkommen im ‹Coda›!»
Das «Coda» ist eine Dessert-Bar. 2016 wurde sie von Spitzenpâtissier René Frank und Oliver Bischoff, Geschäftsführer einer Gastronomie-Designagentur, eröffnet. Davor wirkte Frank sechs Jahre lang als Chef pâtissier des Dreisterne-Betriebs La Vie in Osnabrück. 2013 wurde er von Gault Millau zum Pâtissier des Jahres gekrönt, dieselbe Auszeichnung erhielt er 2015 vom Schlemmer Atlas.
Mit der Eröffnung einer Dessert-Bar folgte das Duo dem Trend aus New York und Barcelona. Und was als Bar für den genussvollen Abstecher am späten Abend auf ein paar Drinks und eine Auswahl an Desserts aus der Menü-Karte begann, entwickelte sich innerhalb des ersten Betriebsjahres stetig weiter. Mittlerweile hat sich das «Coda» zum einzigartigen Fine-Dining-Restaurant entwickelt. Der Schwerpunkt liegt auf dem Tasting-Menü, das ab 19 Uhr zu haben ist: sechs Gänge, Pairing Drinks und Snacks für 98 Euro. Ab 22 Uhr können einzelne Gänge auch à la carte bestellt werden. «Wir stehen für eine neue Art des Essens», sagt René Frank. «Wir sind einzigartig.»
Ich werde gefragt, ob ich Unverträglichkeiten habe, ob ich Fleisch und Fisch esse. Fleisch und Fisch? Geschäftsführer Bischoff schmunzelt. Zum Apéro wird ein Drink aus Gurke, Galia Melone und einem Kornbrand mit Ingwer gereicht. Würde ich Fleisch essen, hätte ich gepuffte Schweineschwarte, karamellisiert und mit Five Spice gewürzt, gesnackt. Dies ist René Franks Hommage an die katalanische Pâtisserie.
Es folgen Gänge wie Aubergine, Pekannuss und Apfelbalsamico, verfeinert mit Lakritzsalz oder eine geeiste Schafsjoghurt-Kuppel, unter welcher Brioche-Brösel, angetrocknete Trauben und Rucola warten. Ein Feuerwerk für die Geschmacksnerven. Doch sind das Dessert-Gänge? «Ja, aber nicht so, wie man sie sonst bei uns kennt. Auf der Reise durch die ganze Welt stösst man jedoch auf Zutaten in Desserts, die für uns unbekannt sind. Eben Aubergine oder auch Karotte und Kürbis», erzählt Frank.
Ein Dessert müsse nicht immer süss sein. «Vielmehr geht es darum, dass wir konsequent mit den Techniken aus der Pâtisserie arbeiten.» Apropos süss: Auf Zucker in Reinform als Zutatverzichtet Frank fast gänzlich. «Keiner weiss besser als wir, wie ungesund er ist und wie gut man ohne ihn auskommt.»
Ebenso spannend: Anders als vielerorts steht der Alkohol in den Pairing Drinks – sie heissen Passionsfrucht, Rote Bete, Kokuto Shochu oder Oolong Tee, Kümin, Safran, Sherry Oloroso – nicht im Fokus. Er dient ausschliesslich als Träger von Aromen. Am deutlichsten wird dies beim letzten Drink, bei dem der Single Malt Whisky nur an die Glaswand gesprayt wird, um rauchige Noten hervorzurufen. Die Pairings harmonieren tatsächlich unfassbar gut. Weinbegleitungen im Restaurant mögen sonst zwar oft passend sein, doch betören die Weine die Sinne meist so sehr, dass die Konzentration auf die Speisen bei jedem weiteren Gang abnimmt.
Im «Coda» ist jedes Geschirr massgefertigt, Schwarz und Gold dominieren das Interieur, zwanzig Sitzplätze gibt es an den Tischen, die zehn weiteren an der Bar gewähren Einblick in die offene Küche. Wer hier eine gewöhnliche Crème brulée oder einen Schokokuchen möchte, ist am falschen Ort. Frank: «Jeder Gang ist eine Komposition, die Grenzen bewusst aufbricht und überwindet.» Das internationale Publikum ist zwischen 25 und 40 Jahre alt, man kommt zu zweit. Geschäftsführer Bischoff: «Der Gast ist auf die Komplexität vorbereitet, er wird auf eine Reise mitgenommen. Wir sind eher ein Theater als ein klassisches Restaurant.»
Nach einem leichten Sommertief läuft es dem «Coda» gut. Zahlreiche Abende sind ausgebucht. Bischoff: «Wenn wir dann noch einen Michelin-Stern kriegen sollten, dürfte sich einiges ändern.» Konkret: Dann müssen «Coda»-Abende wohl wochen- oder gar monatelang vorausgeplant werden. Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen: Dieser Stern ist nicht mehr Lichtjahre entfernt.
(Benny Epstein)
René Frank
1984 in Wangen im Allgäu geboren, absolvierte René Frank im Jahr 2004 die Ausbildung zum Koch. Nach sechs Jahren als Chefpâtissier im Drei-Sterne-Restaurant La Vie in Osnabrück eröffnete er 2016 mit Oliver Bischoff in Berlin das «Coda», Deutschlands erste Dessert-Bar. Bereits kurz nach der Eröffnung wurde es vom «Rolling Pin» mit dem Preis als bestes Gastrokonzept 2016 geehrt.
Coda Berlin
Friedelstrasse 47
12047 Berlin
Tel. +49 30 91496396