Die Ansprüche an Executive Chef Marcus G. Lindner sind in der Grindelwalder «Bergwelt» zwar moderater als zuvor. Sein Antrieb, den Gästen «Fine- Dining» zu bieten, aber kein bisschen geringer.
Marcus G. Lindner, das Hotel Bergwelt in Grindelwald/BE und das Restaurant BG’s Grill feiern einjähriges Jubiläum. Ihr Fazit?
Ein super Jahr. Wir sind trotz Neueröffnung während der Pandemie genial gestartet und finden mit dem Hotelkonzept sowie dem «BG’s Grill» bei den Gästen grossen Anklang.
Der Betrieb hebt sich hier mit seinem alpinen, urbanen Stil von den anderen Hotels ab.
Absolut. Ich denke sogar, dass die «Bergwelt» den hiesigen, schon etwas älteren Hotels durchaus einen Schub verleiht. Betreiber erkennen das Potenzial, durch Investitionen beispielsweise auch weitere Kunden zu erreichen.
Es ist bekannt, dass Sie Herausforderungen mögen. Was hat Sie hier gepackt?
Die Neueröffnung. Wenn mir jemand sagt, ein Projekt könnte sich als anspruchsvoll entpuppen, bin ich ziemlich sicher mit dabei (lacht). Als Koch steht man zudem nicht nur für das «Fine Dining»-Erlebnis ein, sondern hat das grosse Ganze im Blick – so also das Gesamterlebnis für den Gast. Das erwarte ich auch vom Team.
Wie läuft es mit Ihrer Crew?
Wir sind stark aufgestellt. Ich mag Menschen, die querdenken, über den Tellerrand hinausschauen und trotzdem gewillt sind, gemeinsam in dieselbe Richtung zu gehen. Obwohl oder gerade weil unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen, erzeugen die Diskussionen eine Basis, von der aus wir uns weiterentwickeln können.
Sie kochen jetzt mit 15 Gault- Millau-Punkten, waren aber schon mit 18 Punkten und zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Wie ist das für Sie?
Die erwähnten Punkte und Sterne decken ein ganz anderes Spektrum ab – und diese Flexibilität vermisse ich ein bisschen. Aber man soll in jedem Betrieb die Anforderungen annehmen, die er mit sich bringt. Es geht immer um Qualität, die man dem Gast bietet – Sterne und Punkte hin oder her.
Sie haben im «BG’s Grill» aber sicher noch Luft nach oben?
Absolut. Denn wir bieten eine moderne und abwechslungsreiche Küche an. Punktegastronomie ist nicht immer nur «Fine Dining und Pinzette», sondern beinhaltet einen modernen Lifestyle, der bei uns gut gepflegt werden kann.
Sie lassen die Pinzette weg?
Nicht gänzlich (schmunzelt). Aber ich mag es nicht, wenn man mit der Pinzette Türmchen baut. Damit macht man den Gast nicht glücklich. Wenn hingegen drei, vier Geschmäcke richtig herausgearbeitet sind und dem Gericht Charakter verleihen, haben wir unsere Gastronomie auf das Wichtigste reduziert. Drei, vier Gänge in gut dosierten Portionen, sind für unsere Gäste optimal.
Sie sind ja ein Ferienhotel.
Genau. Bei uns findet man Alltägliches, das zwar finedining-ähnlich ist, aber so, dass der Gast es versteht. Ich kann als Koch nicht sagen, ich will an die Küste gehen, aber keinen Fisch verarbeiten. Ähnlich ist es in einem Berghotel. Klar also, dass das Rindssteak vom Holzgrill und das Wiener Schnitzel Topseller sind.
Wie gehen Sie auf die kulinarischen Bedürfnisse der modernen Gesellschaft ein?
Veganismus ist weiterhin auf dem Vormarsch. Deshalb schauen wir, dass mit unserer Karte alle Bedürfnisse abgedeckt sind. Schon vor rund 20 Jahren liess ich mich zum Diätkoch ausbilden, da ich gemerkt hatte, dass die Gastronomie einen Richtungswechsel erfahren würde. Auch die Unverträglichkeiten wurden mehr, was beim Konsum von Convenience-Produkten mit verstecktem Zucker nicht verwunderlich ist.
Wie gehen Sie auf Produktsuche?
Wir kaufen, wenn immer möglich, lokal ein. Kürzlich wurde mir ein Wagyu-Rind angeboten, das aus dem Dorf stammte. Ich werde mir die Tiere und die Alp sehr bald einmal anschauen.
Die Produzenten gehen Sie also direkt an?
Ja, ich habe einen bestimmten Bekanntheitsgrad. Und potenzielle Partner bauen auf meine Kompetenz und darauf, dass ich ihnen indirekt helfe, ihre Produkte weiterzuvermarkten. Ich fühle mich verpflichtet, jungen Menschen eine Plattform sowie die Möglichkeit zu bieten, eine Nische zu finden – natürlich nur, wenn ich hinter dem Produkt stehen kann.
Wo haben Sie während Ihrer Karriere am meisten gelernt?
Überall, wo man neu startet, muss man mit Gegenwind klarkommen. Daraus lernt man. Viel profitiere ich auch von jungen Talenten, weil sie Dinge anders sehen als wir gestandenen Köche. Mein Lehrmeister hatte mir damals schon gesagt, ich solle auch mit den Sinnen lernen und nicht bloss nach Rezept gehen. Und abschliessend gilt: Lernen muss man immer selber wollen.
(Interview Andrea Decker)
Der Sternekoch gehört zu den führenden Gastronomen der Schweiz. Lindner war im «Mesa» und im «Sonnenberg» in Zürich, im Restaurant la Terrasse des «Victoria Jungfrau» in Interlaken/BE und im «Sommet» und «Megu» im «The Alpina Gstaad» tätig. Er wurde mit 18 Gault-Millau- Punkten und zwei Guide-Michelin-Sternen ausgezeichnet.