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Das Haar in der Sternesuppe

Eric Menchon ist anders. Deshalb hat er es mit einem Bistro an die Spitze geschafft. Ein Porträt voller Treue und Sterne.

  • «Die Gäste wollen die Spitzengastronomie nicht mehr nur in ihrer klassischen Form.
    Vier Stunden am Tisch sitzen, leise und andächtig reden, das entspricht vielen nicht mehr.»
  • Spitzengastronomie im Bistro-Lokal: In Eric Menchons «Le Moissonnier» in Köln steht auch ein Burger auf der Menükarte. An der ChefAlps in Zürich stellte er das Gericht mit seinem Team dem faszinierten Fachpublikum vor.

«Nein, Menchon, das ist nichts für Sie. Der Wettbewerb, um da reinzukommen, ist viel zu hart.» Die entmutigenden Worte stammen von Eric Menchons Mathelehrer. Für ein Studium war der Südfranzose nicht gut genug, also wollte er es an die Kochschule von Nizza schaffen, deren Flyer er an einem Zukunftstag an der Schule entdeckt hatte. Seit nunmehr dreissig Jahren ist Menchon Küchenchef im «Le Moissonnier». Seit zehn Jahren verleiht der Guide Michelin dem Betrieb zwei Sterne, seit 15 Jahren erhält er von Gault Millau 18 Punkte.

Der Betrieb, das ist ein Bistro an der Krefelder Strasse 25 im Kölner Agnesviertel. Hier ist die Millionenmetropole unspektakulär, grau, schäbig. Im Gespräch rutscht Menchon das Prädikat «verschissen» heraus. Es trifft zu. Hier wollte Gastgeber Vincent Moissonnier glasweise Wein und ein bisschen was zu essen servieren und stellte einen Koch ein, der von Sternen und Punkten träumte. Mitte der Achtzigerjahre war das, die französische Cuisine boomte. Der Koch zog von der Côte d’Azur in die Stadt im Westen der Bundesrepublik, weil er nicht mehr dazu bereit war, in seiner Heimat umsonst zu rackern. Erst recht nicht sechzehn Stunden pro Tag. Dass der Patron sein Restaurant höchstens betrat, um mal wieder die Kasse zu leeren, passte ihm auch nicht. Also annoncierte er in einem französischen Fachmagazin, wo er sich als Chef de Partie im Ausland anbot. Eine Rückmeldung erhielt er aus England, eine aus Deutschland.

«Man muss im Leben manchmal Glück haben», sagt Menchon leicht verschmitzt. «Ich hatte es im Berufsleben zwei Mal: Als ich mich entschieden hatte, Koch zu werden. Und als ich Vincent Moissonnier kennenlernte.» Nur gerade zwei, drei Mal hätten sie sich in den dreissig gemeinsamen Jahren gezofft. Die Flausen vom Schritt in die Selbständigkeit hat der 50-Jährige längst verworfen. «Dafür bin ich zu faul. Wenn ich selbst ein Restaurant eröffnen würde, müsste ich mich mit so vielen Problemen herumschlagen, die fernab von meinem Fachwissen sind. Darauf habe ich keine Lust.» Lieber konzentriert er sich aufs Kochen. «Ich bin besessen von meinem Handwerk. Es tut mir gut, wenn ich koche.»

Jedes Gericht ist ein eigenes Menü

Dreissig Jahre die selben Wände, der selbe Chef – kein Drang nach Veränderung? «Nein, ich brauche keine Veränderung. Man darf nicht vergessen: Ich komme von ganz tief unten, und habe es nicht in den so verschlossenen Kreis der französischen Sternelokale reingeschafft. Vincent Moissonnier war mein grosses Glück. Ich brauchte damals viel Zeit, um mich zu entwickeln. Diese Freiheit und diese Zeit erhielt ich hier. Solche Möglichkeiten in dieser Branche als Angestellter zu haben, ist Gold wert. Ich bin sehr dankbar.»

Dreissig bis vierzig Gäste bekocht Menchon mit seiner zehnköpfigen Brigade jeden Mittag, abends ist das Lokal mit seinen fünfzig Plätzen stets voll. Wahlweise bestellen die Gäste das komplette Menü oder einzelne Gerichte von der regelmässig wechselnden Karte. Wobei «einzelne Gerichte» masslos untertrieben ist: Jedes Gericht ist ein eigenes­ Menü. Ein Beispiel gefällig? Millefeuille von der gegrillten Rotbarbe. Serviert an orientalischen Gewürzen und einer Krustentier-Cognac-­Reduktion, dazu Messer- und Herzmuschel­frikas­see mit Liebstöckel und Chorizomousse, Topinam­bur und violetter Aubergine, gebratenen Zuckerschoten und Bloody-Mary-Salsa.

Um dem Gast das komplette Geschmackserlebnis zu bieten, verwöhnt Menchon ihn mit der Satellitentechnik. So nennt er seine eigene Erfindung, die ihm vor über zwanzig Jahren gelang. Das Prinzip: Die einzelnen Komponenten eines Gerichts werden auf separaten Tellern serviert. So kann der Gast sie einzeln probieren, ehe er sie beliebig kombiniert. Was sich so mancher Spitzenkoch heute als aufs Maximum reduzierte Küche auf die Brust schreibt, zelebriert Moissonnier seit Jahrzehnten in Vollendung. Schliesslich muss bei ihm nicht nur jede einzelne Komponente herausragend sein, da sie – so pur sie daherkommt – keine Fehler verzeiht. Zusätzlich müssen die Komponenten auch noch miteinander harmonieren.

Offensichtlich harmoniert es. Siebzig Prozent seiner Gäste sind Stammkunden, manche essen jeden Samstag im «Moissonnier». Wie lautet das Erfolgsgeheimnis des einzigen Kölner Zwei-Sterne-Betriebs, der obendrauf seit jeher selbsttragend ist? «Es liegt am Ambiente», glaubt Menchon. «Die Gäste wollen die Spitzengastronomie nicht mehr nur in ihrer klassischen Form. Vier Stunden am Tisch sitzen, leise und andächtig reden, das entspricht vielen nicht mehr.» Im Bistro von Vincent Moissonnier gibt es nur wenig Abstand zwischen den Tischen, es ist laut. Dass in der Küche gearbeitet wird, können die Gäste hören. Ein Stil, der manchem Spitzenkoch missfällt. «Für die sind wir wie ein Haar in der Suppe.»

Menchon schaffte es, den vermeintlich steifen Kölnern kulinarische Offenheit einzuhauchen. «Wir haben sie dazu erzogen, Neues auszuprobieren.» Zwar gebe es den einen oder anderen Klassiker auf der Karte, die Kultivierung echter Signature Dishes vermied der Franzose bewusst. «Manchmal tut es weh, einen Liebling von der Karte zu entfernen. Aber das braucht es, damit die Entwicklung nicht auf der Strecke bleibt.»

Stolz auf das bessere Kalbsbries

Ein Gericht, das allerdings immer wieder auf dem Menü zu finden ist, ist das Kalbsbries. Das schwere, fast weisse Gewebe gehört wegen seiner Zartheit und des feinen Geschmacks zu den am meisten geschätzten Innereien. In der Schweiz heisst es Milke. «Auf unser Kalbsbries bin ich ein wenig stolz», gesteht Menchon. «Es ist sehr beliebt, wir machen es anders als unsere Kollegen. Die servieren es ganz. Aussen schmeckt es dann sehr gut und hat einen schönen Biss, weil es kross ist, aber der Inhalt ist matschig und schleimig. Die Struktur gefällt mir nicht.» Im «Le Moissonnier» aber wird das Kalbsbries in anderthalb Zentimeter dünne Scheiben geschnitten und auf beiden Seiten scharf angebraten. «Das ergibt eine Kruste auf beiden Seiten und trotzdem diese weiche Struktur im Innern. Weich, aber nicht schleimig. Zuletzt karamellisieren wir es mit Essenzen.»

Die neuste Kreation der Küche Menchons: Kalbsbries mit Campari-Grapefruit-Sirup und Patchouli-Essenz. «Wunderbar», schwärmt der Küchenchef. «Die Bitterkeit kombiniert mit der leichten Süsse vom reduzierten Grapefruitsaft. Und dann noch Patchouli dazu – wunderbar.»
Solch kreative Ideen kommen Menchon meist bei der Arbeit oder am Sonntagabend, wenn er lange wach im Bett liegt. «Kreativ wird man nicht von heute auf morgen. Kreativität muss man lernen. Anfangs habe ich natürlich noch kopiert. Wir versuchen, uns stets weiterzuentwickeln.» Auch seine Mitarbeiter fordert er heraus, Arbeit im Team wird bei Menchon gross geschrieben. Es passt wohl zur Einzigartigkeit des Betriebs, dass nicht nur der Küchenchef seit drei Jahrzehnten der Gleiche ist. Auch die meisten Mitarbeiter, vom Sous-chef bis zum Service, gehören seit zehn und mehr Jahren zur Equipe. «Alle Mitarbeiter wissen, dass wir etwas Besonderes schaffen. Zudem wird bei uns nicht 16 Stunden gerackert. Abends um elf Uhr ist kein Koch mehr in der Küche.»

«Ich schäme mich manchmal»

Zum Küchenteam gehört auch Eric Menchons Frau Patricia. Vor 27 Jahren heirateten die beiden, ein Jahr später wurde Patricia­ Menchon als Chef de Partie eingestellt. Die Position hat sie heute noch inne. Vor allem aber hielt sie ihm während vieler Jahre den Rücken frei, erzog die beiden Töchter, die heute 16- und 20-jährig sind, praktisch im Alleingang. «Ich bin meiner Frau unglaublich dankbar, wie sie mich bei der Erziehung unserer Töchter entlastet hat. Ich schäme mich manchmal, wenn ich daran denke, wie wenig ich für die Kinder da war, als sie klein waren.»

Umso mehr Zeit verbringt er jetzt privat im Kreis der Familie, am Sonntag und Montag hat er frei. «Ich muss nicht ständig unter Leuten sein. Die sehe ich schon bei der Arbeit.» Klassisch französisch verweilt die Familie Menchon am Sonntag schon mal bis drei oder gar vier Uhr nachmittags am Esstisch. Obwohl er den grösseren Teil seines Lebens in Deutschland verbracht hat, fühlt sich Menchon durchwegs als Franzose.

Verwegener Traum vom dritten Stern

Logisch, dass auch sein grosses Vorbild aus der Grande Nation stammt: Pierre Gagnaire, der in Paris das gleichnamige Drei-Sterne-Restaurant führt. Menchon: «Ich wünsche mir, eines Tages wie er kochen zu können. Er kocht wie ein Dichter. Da hat man das Gefühl, man bekäme eine Geschichte serviert. Wahnsinn, phänomenal.» Der Traum vom dritten Stern? Menchon prustet los. «Den dritten Stern gibt es sicher nie. Dass wir in Deutschland zwei haben, grenzt schon an ein Wunder. Das ist schon sehr fortschrittlich vom Guide Michelin. Aber drei Sterne in einem solchen Lokal? Nein. Wobei: Wir haben schon nicht an einen geglaubt und erst recht nicht an zwei. Also, wer weiss.»

Der Wahlkölner verliert keine Gedanken an die ungeschriebene Zukunft. Lieber tut er das, was er selbst bestimmen kann und brütet über seinen neusten Küchenkreationen. Das beste Gericht sei jenes, das noch nicht auf der Karte stehe, meint Eric Menchon.

(Benny Epstein)