Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

«Das Mentale kann entscheidend sein»

Die Kochnationalmannschaften werden nicht nur praktisch, sondern auch mental gecoacht. Andreas Fleischlin verrät, wie das den entscheidenden Unterschied machen kann.

Mentalcoach Andreas Fleischlin kennt die Wettbewerbswelt aus seiner Zeit als Geschäftsführer des Schweizer Kochverbands genau. (ZVG)

Andreas Fleischlin, Sie sind Mentalcoach der Schweizer Kochnationalmannschaften. Welche Rolle spielt die mentale Vorbereitung auf den Culinary World Cup 2022?
Das Verhältnis von praktischem und mentalem Training ist 90 zu 10 Prozent. Das Kulinarische kann ich als Mentaltrainer nicht beeinflussen. Aber ich kann dafür sorgen, dass die Teammitglieder im entscheidenden Moment über sich hinauswachsen und auch in schwierigen Momenten die Ruhe bewahren.

Wie läuft dieses mentale Training ab?
Im Gegensatz zum praktischen Training arbeiten wir konstant im Unterbewusstsein. Das Training an sich dauert etwa eine Stunde. In tiefer Entspannung gehen wir den Ablauf des Wett-bewerbs Bild für Bild durch. Wichtig ist, sich auch einmal von aussen zu betrachten – wie wirkt man auf die Zuschauer und die Jury? Hat man Spass bei der Arbeit oder ist man zu verbissen? Am Ende jeder Gedankenreise steht der Gang auf das Podest. Es ist wichtig, den Mut zu haben, sich als das beste Team vorzustellen, auch wenn es am Anfang vielleicht etwas befremdlich ist.

In welchen Situationen ist das Mentaltraining besonders hilfreich?
Insbesondere dann, wenn Dinge nicht nach Plan laufen. An der Olympiade 2020 in Stuttgart stieg beispielsweise ein Küchengerät aus. Teammitglied Andrea Werth meinte danach, dass sie ohne das Mentaltraining ihr Programm nicht hätte einfach weiter abspulen können. Wenn alles perfekt läuft, kann ein Team dank des Mentaltrainings über sich hinauswachsen. Als Grundlage dafür schaffen wir Vertrauen – in sich selbst und in die anderen Teammitglieder.

Kann das Mentaltraining viel­leicht sogar den Unterschied machen, ob ein Team aufs Podest kommt oder nicht?
Davon bin ich überzeugt. Letztlich sind alle Teams in den Top Ten sehr gut und haben Chancen auf einen Platz ganz vorne. Kulinarisch stehen sie sich in nichts nach. Da können die zehn Prozent Mentaltraining entscheidend sein. Denn am Ende muss man unter Druck funktionieren und das Geübte unter schwierigen Bedingungen abrufen können.

Sie haben früher unter anderem ein Hotel geführt und waren Geschäftsführer des Schweizer Kochverbands. Wie kamen Sie zum Mentaltraining?
Der rote Faden meiner Karriere ist der Mensch. Ich habe schon immer gerne mit Menschen zusammengearbeitet, sei es als Ausbildner, im Kochverband oder heute als Mentalcoach. Begonnen hat alles, als ich in einer Naturheilpraxis auf ein Buch über Hypnose stiess. Das Thema hat mich so fasziniert, dass ich danach eine Ausbildung in diesem Bereich absolviert habe. Stück für Stück kamen dann weitere Ausbildungen dazu. Bei der Arbeit in der Wettbewerbsvorbereitung hilft mir sicher meine Erfahrung in der Branche. Ich weiss genau, worum es bei diesen Grossanlässen geht, und das spüren meine Klienten.

War das Mentaltraining bereits während Ihrer Zeit beim Schweizer Kochverband ein Thema?
Ja, damals haben wir aber lediglich ein Wochenende in das Thema investiert. Das war zwar der richtige Ansatz, aber der falsche Weg. Durch die ständige Begleitung entsteht ein Vertrauensverhältnis, das unglaublich wichtig ist. Immer wieder entstehen so schöne Gespräche, die nicht nur mit der Wettbewerbsvorbereitung zu tun haben.

Inwiefern kann das Mentaltraining auch im hektischen Berufsalltag unterstützen?
Mentaltraining ist in allen Lebenslagen nützlich. Grundsätzlich geht es darum, sich auf sich selbst zu besinnen und auch in hektischen Situationen immer wieder eine Balance herzustellen. Das muss gar nicht unbedingt durch Mentaltraining sein. Es ist auch möglich, sich beispielsweise durch Bewegung Inseln der Entspannung zu schaffen. Allerdings darf in diesem Fall nicht die Leistung im Vordergrund stehen, sondern der Ausgleich zum Alltagsstress.

Welche Tipps haben Sie für Berufsleute, die sich im Alltag besser fokussieren oder entspannen möchten?
Am wichtigsten ist das Atmen. Es gibt beispielsweise die Drei-Drei-Sechs-Technik: Drei Sekunden durch die Nase einatmen, drei Sekunden den Atem anhalten, sechs Sekunden durch den Mund aus­atmen. Das kann man in stressigen Situationen, vor wichtigen Gesprächen oder Auftritten tun – es benötigt kaum Zeit und fällt niemandem auf. Abends im Bett kann man kurz gedanklich durch den eigenen Körper gehen und wahrnehmen, was man genau spürt. Mit diesen einfachen Übungen kann man schon sehr viel erreichen. Wichtig ist: Lieber jeden Tag fünf Minuten investieren als einmal pro Woche eine Stunde.

(Interview Angela Hüppi)


Zur Person

Andreas Fleischlin (43) ist gelernter Bäcker-Konditor, hat die Hotelfachschule abgeschlossen und gemeinsam mit seiner Frau Elvira ein Hotel geführt. Er war Geschäftsführer des Berufsverbands Bäckerei & Confiserie und des Schweizer Kochverbands. Heute arbeitet er als Mentalcoach und hat sich auf die Gebiete Persönlichkeitsentwicklung, Paar-Coaching und Mentaltraining für Wettkämpfer spezialisiert.

andreas-fleischlin.ch