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«Die Bombe beginnt erst jetzt zu ticken»

Es gibt ihn nicht erst seit der Pandemie. Der Fachkräftemangel beschäftigt die Branche seit zehn Jahren. Warum und wie ihn die Branche in den Griff bekommen kann, erklärt Urs Masshardt, Geschäftsleiter der Hotel & Gastro Union.

(ZVG)

Urs Masshardt, wie ist die Stimmung in der Branche?
Die Stimmung ist von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich. Ich habe einen starken Bezug zu Grindelwald, deshalb nehme ich als Erstes ein Tourismusgebiet als Beispiel. Aktuell ist der Buchungsstand meines Wissens sehr gut (Stand: Oktober 2021). Auch habe ich Kenntnis von Zermatt und dem Tessin, dass dort Zahlen herrschen, wie noch nie – also beste Jahre, ähnlich wie 2019. Bei anderen Betrieben, beispielsweise bei solchen mit Sitz in der Stadt Luzern, gibt es grosse Unterschiede. Ich kenne ein wunderschönes 5-SterneHotel, das zurzeit eine Auslastung von nicht einmal 30 Prozent hat. Wir vom Hotel Montana – hier befinden sich die Büroräumlichkeiten der Hotel & Gastro Union– dürfen uns nicht beklagen. Dank eines guten Kundenmix entwickeln wir uns positiv. Generell gesagt ist die Stimmung nicht schlecht – aber auch nicht gut. Leitende und Mitarbeitende von Betrieben, denen es gut geht, verspüren eine gewisse Demut und hängen ihren Erfolg nicht an die grosse Glocke.

Herausforderung Fachkräftemangel: Welches sind die Hauptauslöser?
Zuerst müssen wir den Begriff Fachkraft definieren. Bei einer Fachkraft handelt es sich um eine Person, die gelernt ist. In der Tat herrscht in diesem Bereich ein Mangel. Bei einer Person, die nicht gelernt ist, also ohne entsprechende Ausbildung, handelt es sich um eine Hilfskraft. Im Bereich der Hilfskräfte benötigt die Branche ebenso Personal. Wichtig: Es ist nicht korrekt, dass der Fachkräftemangel aufgrund von Corona herrscht. Es gibt genügend Statistiken, die aufzeigen, dass die Anzahl Lehrverhältnisse seit zehn Jahren zurückgeht. Das ist eine mittlere Katastrophe und es wird noch schlimmer werden – die Bombe beginnt erst jetzt zu ticken. Explodieren wird sie in zwei bis drei Jahren. Diese Entwicklung beobachtet die Hotel und Gastro Union schon lange – Corona ist dabei sekundär. Bei «ungelernten» Mitarbeitenden stellt sich die Herausforderung, dass zirka 50 Prozent aus dem Ausland kommen. Viele sind leider wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Und ja, das hat einen direkten Zusammenhang mit der Pandemie. Schwierig ist die Situation bei den Köchinnen und Köchen, jedoch fast prekärer ist sie bei den Restaurationsfachleuten. Hier gibt es geografische Unterschiede: Der Mangel ist in der Westschweiz eher pointierter als in der Deutschschweiz. Ich halte fest: Dass Corona den Mangel ausgelöst hat, stimmt nicht – Corona hat das Fass zum Überlaufen gebracht. 

… und diese Situation geht weiter?
Ja, das tut sie. Die Frage stellt sich, warum das seit zehn Jahren so ist. Es gibt zwei Themen, mit denen wir uns befassen. Erstens befinden wir uns bei unseren Berufen nach wie vor auf einem schwachen Lohnniveau. Es ist eine Tatsache, dass sich der Lohn auch nach mehreren Jahren auf Mindestlohnniveau bewegt. Unmittelbar nach der Lehre sind die Löhne gut und vergleichbar mit Löhnen der kaufmännischen Grundbildung. Doch sie stagnieren und steigen nicht an. Wenn sich nun junge Menschen nach Lehrabschluss mit einem Mechaniker oder jemandem aus der Baubranche vergleichen, dann stellen sie fest, dass es keine Lohnentwicklung gibt. Der zweite Grund ist die oft fehlende Wertschätzung in vielen Betrieben. 

«Wir leisten einen grossen Effort im Zusammenhang mit Bildung und Nachwuchsförderung.»

- Urs Masshardt


Köchinnen und Köche sowie Restaurationsfachleute: Sind das die Berufsgattungen, die besonders betroffen sind?
Wenn ich das Hotel Montana betrachte und mich mit Kolleginnen und Kollegen unterhalte, sind das vor allem die beiden Bereiche, bei denen wir Mitarbeitende suchen. Auch im Housekeeping (Hauswirtschaft) sind viele Stellen offen. • Ist der Mangel regional ersichtlich? Ja. Schwierig ist es zurzeit in ländlichen und in den Berggebieten. Stellen wir uns vor: Würden wir bei einer Bergbeiz arbeiten wollen, auf 2000 Meter über Meer übernachten, keinen Ausgang haben, und das Ganze noch zum Minimallohn? Das tun nur Menschen, die in Not sind und nichts anderes finden. Diese Betriebe haben ein grösseres Handicap als solche in einer Tourismusregion wie Locarno oder Zermatt. Ein Hotelier aus Locarno teilte mir mit, dass er in 30 Jahren noch nie ein so gutes Jahr wie 2021 verzeichnete. So gibt es grosse Unterschiede. Es gibt sie auch innerhalb der Stadt, je nachdem, wie die Strategie lautet. Wenn ein Hotel zu 90 Prozent auf asiatische Gäste setzt, geht es ihm aktuell nicht sonderlich gut. Das Hotel Montana setzt seit über 20 Jahren zu mindestens 50 Prozent auf Schweizer Gäste. Und die anderen 50 Prozent splittet es auf verschiedene Länder auf, wobei es bei den internationalen Gästen auch einen guten Mix braucht. 

Welche Massnahmen ergreifen Berufsorganisationen wie die HGU, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Zuerst müssen wir die Aufgabenteilung zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden klären: Die Rekrutierung von Arbeitnehmenden ist Aufgabe der Arbeitgebenden. Selbstverständlich ist die HGU daran interessiert, dass genügend Nachwuchs vorhanden ist. Wir leisten daher einen grossen Effort im Zusammenhang mit Bildung und Nachwuchsförderung – wir sind in den Schulen aktiv und bieten diverse Kurse an. Auch setzen wir uns mit Wettbewerben dafür ein, dass junge Menschen Freude an den Berufen haben und motiviert sind, in dieser Branche tätig zu sein.

Was können Betriebe selbst dafür tun?
Betriebe, die eine wertschätzende Kultur pflegen, sind im Vorteil. Solche, die bereits in der Vergangenheit mit jungen Menschen zusammengearbeitet haben, ebenfalls. Andere, die in letzter Sekunde beim Kanton darum betteln, einen Ausbildungsplatz zu erhalten – böse gesagt, eine billige Arbeitskraft suchen –, soll man meiner Meinung nach nicht unterstützen. Für Mitarbeitende sind die drei F «Fordern, Fördern und Feedbacken» enorm wichtig. Sie möchten gefordert werden und sie sind gewillt, zu arbeiten. Wird die «3-F-Mentalität» gelebt, gibt es wenig Probleme. Die Frage stellt sich auch: Ist es nicht an der Zeit, eine Strukturbereinigung vorzunehmen? In der Schweiz gibt es zwischen 2000 und 3000 Betriebe zu viel. 

Was verleiht der Zukunft Schwung?
Auch hier nichts Neues, doch wird es zu wenig gelebt: Betriebe sollen sich auf ihre Stärken und nicht ihre Schwächen konzentrieren. Weiter gilt es, innovative Konzepte anzubieten. Und es geht auch um Erlebnisgastronomie.

(Interview Felicia Gähwiler/Pistor AG)


Zur Person

Der dreifache Familien- und fünffache Grossvater trägt beruflich drei Hüte: Er ist Geschäftsleiter der Hotel & Gastro Union, Verwaltungsratspräsident des Hotels Montana und Stiftungsratspräsident der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern. Urs Masshardt ist gelernter Mechaniker und hat auf dem zweiten Bildungsweg Betriebswirtschaft studiert. In jungen Jahren war er Windsurfer – heute trifft man ihn auf der Skipiste an. In den Ferien ist er vorwiegend mit dem VW-Bus unterwegs – das «Ursprüngliche» fasziniert ihn.