Betriebe kurz vor der Schliessung, Hoteliers, Gastronomen und Mitarbeitende in der Schwebe: Der Arbeitsmarkt im Gastgewerbe kriegt die zweite Welle bereits zu spüren.
Kaum haben Gastgewerbe und Hotellerie die erste Corona-Welle einigermassen hinter sich gebracht, steht auch schon der nächste Schrecken ins Haus. Aufgrund weiter rasant steigender Fallzahlen beschloss der Bundesrat am 18. Oktober neue Massnahmen. Nun gilt in allen Kantonen eine Maskenpflicht für öffentlich zugängliche Innenräume, und die Konsumation von Speisen und Getränken ist bis auf Weiteres nur noch sitzend erlaubt. Das sind
nur zwei von vielen Massnahmen. Aber besonders letztere dürfte gerade für das Nachtleben massive Folgen haben.
Die Bar- und Clubkommission Zürich sagt, die Massnahmen kämen «de facto einer amtlich verordneten Schliessung von Musikbars und Clubs gleich». In vielen Betrieben lasse sich die sitzende Konsumation räumlich nicht oder nur mit sehr grossem Aufwand umsetzen. Erschwerend komme hinzu, dass mehr Mitarbeitende nötig seien, um die Massnahmen durchzusetzen. Das wiederum führe zu noch mehr Kosten für die Betriebe.
«Wir hoffen, dass es der Bund nun nicht versäumt hat, mit den Kantonen auch über die Unterstützung der Branche zu sprechen. Eine solche ist wichtiger denn je. Nur so können Konkurse von an sich gesunden Unternehmen verhindert und somit Arbeitsplätze gesichert werden», sagt Alexander Bücheli, Mediensprecher der Bar- und Club-Kommission Zürich.
Gastrosuisse wiederum betont, dass schon heute viele Betriebe ums Überleben kämpfen. Ein weiterer Lockdown oder andere wirtschaftlich nicht tragbare Restriktionen würden die Existenz der gastgewerblichen Betriebe noch stärker gefährden. Im ersten Halbjahr 2020 sind gemäss Angaben des Bundesamtes für Statistik in der Branche 33 000 Arbeitsplätze verloren gegangen.
Die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen ist im September um 79,2 Prozent auf 13 553 gestiegen. Am stärksten betroffen ist der Kanton Obwalden. Hier hat sich die Arbeitslosenquote verdreifacht. Mit minus 12,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ist die Arbeitslosenquote nur in Appenzell- Innerrhoden gesunken.
Laut Roland Eng, Inhaber der Personalvermittlungsagentur Active Gastro mit Sitz in Zürich, ist der Anstieg der Arbeitslosen noch nicht stark zu spüren. «Die meisten sind in Kurzarbeit und warten ab. Wir hatten sogar schon Fälle, da wurden Gespräche kurzfristig wieder abgesagt, weil die Kurzarbeit im Betrieb verlängert worden war», sagt er. Die Betriebe seien verständlicherweise sehr bemüht, die guten Leute zu behalten. «Bewerbungen erhalte ich derzeit vor allem von gut ausgebildeten Leuten aus Tschechien, der Slowakei und Ungarn», sagt er.
Beim Kräuter Hotel Edelweiss in Rigi Kaltbad/LU hingegen stammen die meisten Bewerbungen für den offenen Koch-Job aus Deutschland. Wobei sich insgesamt deutlich mehr Fachkräfte auf die Stelle bewerben. Zudem hat die Qualität der Dossiers massiv zugenommen. Co-Geschäftsleiter Gregor Egger Vörös sagt: «Wenn wir in früheren Jahren nach Fachkräften gesucht haben, waren wir froh, wenn wir wenigstens eine brauchbare Bewerbung erhielten. Ohne Stellenvermittlung ging es nicht. Dieses Mal habe ich alleine über den Facebook-Post auf Gastro Jobs Schweiz viele und vor allem auch qualitativ hochstehende Bewerbungen erhalten.»
Einer, der sich gerade auf Jobsuche befindet und sein Glück in der Schweiz versuchen möchte, ist der Deutsche, Sous-chef Bruno Schäfers. Wie die Lage in der Schweiz sei, könne er zwar nur schwer einschätzen. Doch «wenn es so ist wie in Deutschland, mache ich mir keine Sorgen, eine tolle Stelle zu finden. Gute Leute sind nach wie vor gefragt», ist er überzeugt.
Ähnlich klingt es auch bei Antje Gude. Die Hotelfachfrau arbeitet schon seit vielen Jahren temporär bei verschiedenen Arbeitgebern und Teilzeit bei der Cateringfirma Dolce Far Niente. Diese habe ohne Umschweife dafür gesorgt, dass auch die Aushilfen in Kurzarbeit gehen konnten.
«Natürlich merkt man, dass die Anfragen zurückgehen. Gerade im Cateringbereich. Da ist man schon auch verunsichert, wie es langfristig weitergehen soll. Aber Sorgen, eines Tages ganz ohne Job dazustehen, mache ich mir nicht», sagt sie. Allerdings sei spürbar, dass sich die Corona-Pandemie auf die Löhne auswirke: «Ich würde sagen, das Lohnniveau ist tendenziell gesunken», ergänzt Antje Gude.
(Désirée Klarer)
Deutschland
Seit Beginn der Corona- Krise im März bis Ende September 2020 haben 128 503 gastgewerbliche Betriebe bei den Arbeitsagenturen in Deutschland Kurzarbeit angezeigt. Davon potenziell betroffen waren gut 1,1 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte der Branche. Erstmals liegen jetzt auch Zahlen zur tatsächlich realisierten Kurzarbeit in der Branche vor. Zumindest für den Monat März. Im März 2020 war gut eine halbe Million Arbeitender in 84 751 gastgewerblichen Betrieben in Kurzarbeit. Das geht aus Zahlen der DEHOGA hervor, dem deutschen Hotel- und Gaststättenverband.
In Frankreich sind Bars und Restaurants in einigen Teilen des Landes seit September geschlossen. Darunter nebst Paris auch jene in Marseille, berichten Medien.
Österreich
Für die stark betroffenen Branchen soll ab Oktober die Mindestarbeitszeit von 30 Prozent «unterschritten werden können. Zum Beispiel wird für die Stadt-
hotellerie vielleicht zehn Prozent notwendig sein», sagt Arbeitsministerin Christine Aschbacher gegenüber der «Wiener Zeitung».
In Italien haben Pächter von Hotels für 60 Prozent ihrer Mietzahlungen für April, Mai und Juni bedingungslose Steuergutschriften bekommen.
Sebastian Ulbrich, viele Gastronomen und Hoteliers stehen vor der Frage, wie sie ihren Betrieb durch die Krise bringen. Bei einigen führt das zu Existenzängsten. Was raten Sie den Betroffenen?
Erst einmal ist es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass Angst zwar ein komplexes Thema, die Angst zu erleben jedoch völlig normal ist. Angst ist zudem ein wertvoller Hinweis darauf, vorsichtig zu sein. Schwierig wird es erst dann, wenn man sich an die Angst gewöhnt.
Wie meinen Sie das?
Es ist ein Unterschied, ob ich Angst habe und mir dessen bewusst bin oder ob ich diese über einen längeren Zeitraum hinweg verdränge. Wenn man von der
Situation überwältigt wird und das Gefühl hat, nichts tun zu können, hat das einen starken Einfluss auf die Motivation. Möglicherweise tut man gar nichts, um die Situation abzuwenden.
Stammt daher die Redewendung «Gelähmt vor Angst»?
Das Erleben einer bedrohlichen Situation kann zu einer Art Schockstarre führen. In der Tierwelt ist das gut zu beobachten als dritte Möglichkeit neben Angriff und Flucht. Wichtig ist, dass
man irgendwann versucht, die Kontrolle über das eigene Angst-
erleben zurückzugewinnen. Lähmung setzt ein, wenn man etwas immer wieder verdrängt und überwältigt bleibt.
Wie schafft man es, stattdessen anzugreifen?
Wie jemand mit Angst umgeht, ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Was ich den Ratsuchenden empfehle, ist, sich zu fragen: Gab es schon mal eine Situation, die der jetzigen ähnelt? Und wenn ja: Wie bin ich damit umgegangen? Ich erlebe es immer wieder, dass die Leute ihre Ressourcen dann wiederfinden. Einfach, weil sie sich an ähnliche Phasen zurückerinnern, die sie gemeistert haben.
Schwer vorstellbar, dass dies selbst in einer Situation wie der Pandemie helfen soll.
Natürlich ist die Corona-Pandemie eine sehr herausfordernde Situation. Das steht ausser Frage. Aber wenn man sich daran erinnert, wie man schlimme Erlebnisse überstanden hat, erlebt man auch die Emotionen von damals wieder und aktiviert dabei eigene Kompetenzen. Dadurch verliert die aktuelle Situation ihren Schre- cken ein Stück weit. Das ist die spannendste Erkenntnis meiner Arbeit: ob ich mich an etwas erinnere oder mir eine zukünftige Situation vorstelle, da laufen ganz ähnliche Prozesse im Körper ab, fast so, als würde ich das im Moment wirklich erleben. Das kann in der aktuellen Situation helfen.
Vermutlich nicht allen im gleichen Masse. Ist es möglich, die Resilienz zu verbessern?
Auf jeden Fall. Resilienz hat sehr viel mit der Lenkung der Aufmerksamkeit zu tun. Wer diese zu stark auf den schlimmen Dingen hat, sieht weniger Handlungs- möglichkeiten. Es kann sehr hilfreich sein, einen Schritt zur Seite zu treten und sich zu fragen: Was kann ich beeinflussen? Was nicht? Was bin ich bereit zu akzeptieren? Und dann schauen, welche Möglichkeiten es noch gibt.
Einige Betriebe setzen in dieser Zeit auf Kooperationen.
Das macht sicher Sinn, doch es muss nicht immer gleich eine Kooperation sein. Nur schon sich mit anderen auszutauschen, kann extrem helfen, weil man merkt, dass man mit seinem Erleben nicht allein ist. Und wer weiss? Vielleicht trifft man auf jemanden, der sich nicht unterkriegen lässt und trotz allem optimistisch bleibt. Das eröffnet Perspektiven.
Der Psychologe Sebastian Ulbrich ist als Trainer für Stressmanagement und als Coach tätig. Bei seinen Coachings geht es unter anderem um die Reduktion von Ängsten oder die Veränderung von Gewohnheiten. Darüber hinaus lehrt er unter anderem Netzwerkwissenschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).