Alte Rinderrassen: Wenn sie nicht mehr aufgetischt werden, sterben sie aus. Pro Specie Rara sensibilisiert Köche und Gastronomen.
Von mehr als 1,5 Millionen Rindern, die in der Schweiz als Nutztiere gehalten werden, gehören gerade einmal 5000 den gefährdeten alten Rassen an. «Wenn wir jetzt nichts tun», so Philippe Ammann von der Stiftung Pro Specie Rara, «werden sie eines Tages verschwinden.» Alte Nutztierrassen erhalten und sie der Gastronomie im wahrsten Sinne des Wortes wieder schmackhaft machen – das hat sich die Stiftung mit ihren Raronautik-Missionen auf die Fahne geschrieben.
Unlängst pilgerte eine Gruppe von Köchen, Gastronomen und Metzgern auf den Arche-Hof von Urs Amrein nach Hildisrieden, um mehr über das rote bis kastanienbraune Evolèner Rind und vor allem das einst im Bündnerland weit verbreitete Rätische Grauvieh zu erfahren. Vor Jahren stellte Urs Amrein bei der Mutterkuhhaltung von Limousin und Simmentaler auf Rätisches Grauvieh um. Der Grund: Die alte Rasse ist für ihn perfekt in der Mehrnutzung für Fleisch- und Milchgewinnung. Ausserdem sei die Haltung wirtschaftlicher. Statt teures Kraftfutter, Mais und Getreide zuzukaufen, verfüttert der Landwirt ausschliesslich Heu und Gras vom eigenen Land. Obwohl der Muskelansatz weniger ausgeprägt sei als bei anderen Rassen, liefere Rätisches Grauvieh «mindestens gleich gute, wenn nicht sogar bessere Fleischqualität», so Urs Amrein. Der Arche-Hof-Besitzer verkauft und vermarktet Fleisch von seinem Grauvieh in Eigenregie.
Ob die Qualität wirklich hält, was Urs Amrein verspricht, davon konnten sich die Raronautik-Teilnehmer vor Ort selbst überzeugen. Patrick Marxer, Veredler und Produktentwickler von «Das Pure» aus Wetzikon, hat sich nach eigenen Worten aus der Filetgesellschaft verabschiedet und plädiert für die immer noch zu wenig beachteten Second Cuts.
So liess er die Raronautiker Grauvieh-Schulterstücke wie Flat Iron Steaks, Petit Tender und Innereien wie butterzarte Nierenzapfen degustieren. Seine Empfehlungen: Garstufe jeweils saignant. Und: Was Stücke von Schulter, Stotzen und Lempen anbelangt: unbedingt bis 28 Tage gereiftes Fleisch verwenden. Lagerung, aber auch die Schlachtung seien wichtig. Auf letzteren Punkt machte Mischa Hofer, Inhaber von «Platzhirsch», aufmerksam. Der Lieferant von Spezialitätenfleisch verwies auf den Stress, dem zu viele Tiere unmittelbar vor der Schlachtung ausgesetzt sind. Er rät den Gastronomen: «Schaut bei Landwirten vorbei, erkundigt euch über Haltung und wo geschlachtet wird.» Dies tut seit Jahren Jürg Bischof vom Restaurant 1871 in Luzern. Der Küchenchef setzt beim Rindfleisch ausschliesslich auf Evolèner – und weiss das mit einem eigenen Label, Broschüren und einem «Chef’s Cut» zu zelebrieren. Denn alte Rassen nur in der Küche zu verwenden, reiche nicht. «Du musst den Gästen auch davon erzählen.»
(Jörg Ruppelt)