Auf dem Land entsteht eine neue Art von unabhängigen Cafés. Dort steht nicht nur exzellenter Kaffee im Vordergrund, sondern auch ein stilvolles Ambiente. Was auffällt: Alle Betreiber sind Quereinsteiger.
Nadine Derungs hat den Umgang mit Gästen vom ersten Tag ihrer Ausbildung an gelernt. Nicht in der Gastronomie, sondern im Detailhandel. «Das kommt mir jetzt zugute», sagt die 27 Jahre junge Frau. Zusammen mit ihrer Mutter hat sie vor vier Jahren das «Trafico» am Bahnhof Gelterkinden im oberen Baselbiet eröffnet – nachdem sie die kantonale Wirteprüfung abgelegt hatte. «Gelterkinden ist mit knapp 6000 Einwohnern zwar eine recht grosse Gemeinde und doch sind wir mitten auf dem Land.» Hier sind Angebote, die andernorts längst in aller Munde sind, oftmals noch unbekannt: «Viele unserer Gäste lernten bei uns kennen, was eine Piadina oder ein Flammkuchen ist», erzählt Derungs. Auch dass der Kaffee nicht einfach nur auf Knopfdruck in die Tasse fliesst, war für viele neu. «Wir legen Wert auf eine Herstellung nach Barista-Art.» Eine hochwertige Kolbenmaschine war deshalb die erste Investition ins neue Café. Am meisten verkaufen Nadine Derungs und ihr Team Café crème, gefolgt von Cappuccino. Pro Tag sind es rund 150 Tassen. Dafür werden die Kaffeebohnen portionsgerecht gemahlen, mit dem Tamper im Kolben, der in die Maschine eingespannt wird, angepresst, und erst dann wird der Knopf gedrückt. Eine Kaffeeherstellung, die man von der Kettengastronomie Spettacolo kennt, in der traditionellen Gastronomie aber nach wie vor wenig Eingang gefunden hat. «Für viele war das in dieser Gegend neu, wir müssen immer wieder erklären, dass wir für die Herstellung mehr Zeit brauchen als mit einem Vollautomaten.»
Die Idee, sich mit einem Café selbständig zu machen, entstand spontan. Derungs Vater, der im Immobiliengeschäft tätig ist, erfuhr, dass das leerstehende Haus am Bahnhofplatz Gelterkinden zu verkaufen war. Als er von den Plänen seiner Tochter Nadine hörte, hier ein Café zu eröffnen, erwarb er die Liegenschaft, in der sich einst eine Seidenbandfabrik befand. Zusammen mit ihrer Mutter entwarf Nadine Derungs die Pläne für ihr zukünftiges Café. «Die meisten Cafés sind ungemütlich und lieblos eingerichtet», stellt Nadine Derungs fest. Ihres aber sollte eine Wohlfühloase werden. Weil ihr der Einrichtungsstil Shabby Chic so sehr gefiel, richtete sie alles so ein. Das englische Wort shabby heisst schäbig. Möbel und Gegenstände stammen meist aus Brockenhäusern, und es ist ihnen anzusehen, dass sie schon gebraucht wurden.
Zwei Jahre dauerte es, bis das «Trafico» eröffnet werden konnte, das war 2013. Vier Jahre später ist Nadine Derungs sehr zufrieden mit dem Geschäftsverlauf. Aber sie räumt ein: «Obwohl wir an einer guten Passantenlage liegen, haben viele lange nicht realisiert, dass es uns gibt.»
Am Unterägerer Dorfplatz gibt es seit 2013 das «Wildpeak». Das trendige Lokal wurde damals vom gelernten Konditor Mark Jones gegründet. Wildpeak steht für den Zuger Hausberg Wildspitz. Der gelernte Konditor und zertifizierte Bike Guide Jones erfüllte sich den Traum, seine beiden Leidenschaften zu vereinen: Kaffee und Sport. Das Lokal war Kaffeehaus, Kursbüro und Ausgangspunkt für Outdoor-Aktivitäten. Aus familiären Gründen entschloss sich Jones in diesem Frühjahr zu einem Verkauf des Cafés und entschied sich für die einheimische Familie Häusler. «Wir waren regelmässig zu Gast im ‹Wildpeak›, weil uns das Café mit seinem LifestyleAmbiente gefiel und hier der beste Kaffee in Zug zu haben war», erzählt Mirco Häusler.
Den guten Kaffee gibt es weiterhin, auch wenn das Lokal seit Anfang September als Maple Coffeehouse auftritt. Gastroerfahrungen haben die Häuslers als Quereinsteiger am anderen Dorfende sammeln können. «Mein Bruder betreibt dort das Sportcenter mit integrierter Gastronomie», so Mirco Häusler. «Wir können vor allem punkto Mitarbeiteraustausch voneinander profitieren.» Damit der Kaffee weiterhin so gut ist wie bis anhin, legen die Häuslers grossen Wert auf gut geschulte Mitarbeiter. «Wir haben alle eine Kaffeeschulung gemacht», sagt Mirco Häusler. Besonders nachgefragt sind Cappuccino und Latte macchiato. Der «Flat White» findet vor allem bei den Expats regen Zuspruch. Dabei handelt es sich um einen doppelten Espresso mit wenig Schaum.
Ein drittes Café mit Lifestyle-Atmosphäre findet sich in Würenlingen/AG. Die gelernte Floristin Marion Granella hat hier den Schritt in die Selbständigkeit gewagt: «Ein eigenes Café war immer mein Lebenstraum.»
Diesen erfüllte sie sich, als sie an einem Scheidepunkt auf ihrem Lebensweg stand. «Ich suchte nach einer neuen Herausforderung», erzählt sie. Ihr Vater führte ein Baugeschäft und erwarb vor einiger Zeit an der Würenlinger Hauptstrasse ein altes Bauernhaus. Dieses wurde erst mehrere Jahre fremdvermietet und wurde just zum Zeitpunkt leer, als Marion Granella eine neue Aufgabe suchte. «Von Anfang an wusste ich, welchen Einrichtungsstil ich haben wollte.» Es sollte ein gemütlicher Treffpunkt sein mit einem Bistro-Lounge-Charakter. Ihr war vor allem eines wichtig: «Viele Frauen gehen auch heute noch ungern alleine in ein Restaurant, deshalb wollte ich einen Ort schaffen, an dem sich Frauen wohl fühlen und sich getrauen, alleine einzutreten.»
Dass ihr das gelungen ist, zeigt der Gästemix. «Bei uns kehren Frauen und Männer jeglichen Alters ein, sie kommen alleine, zu zweit, in der Gruppe.» Auch hier steht die gute Kaffeeherstellung im Vordergrund. Damit die Kaffeezubereitung die gewünschte Qualität hat, wird der Mitarbeiterschulung grosse Bedeutung beigemessen. «Wir bereiten unseren Kaffee in Barista-Qualität zu», so Granella. «In vielen Restaurants hier auf dem Land steht ein Vollautomat, aber diese Qualität genügt uns nicht. Unser Kaffee ist zwar stärker als jener, den die Würenlinger gewohnt sind, aber dafür besser im Geschmack.»
Dass in Schwarzsee ein Café steht, das Barista-Qualität im Kaffeebereich anbietet, ist einem Zufall zu verdanken. Maya Abt, aufgewachsen in Basel und mit 22 Jahren nach Berlin ausgewandert, plante nicht, in die Schweiz zurückzukehren. Eines Tages reiste sie aus familiären Gründen an den Schwarzsee. Als sie dort ankam, schoss ihr der Gedanke wie ein Blitz durch den Kopf: «Warum nicht hier ein Café aufmachen?» Gesagt, getan. Die gelernte Kindergärtnerin und Tanztherapeutin absolvierte die kantonale Wirteschule und eröffnete 2014 ihr Lokal. Den Namen Mamsell brachte sie aus Berlin mit und auch die Möbel, die sie bei einem Antiquitätenhändler in ihrer Berliner Nachbarschaft fand.
Maya Abt ist glücklich mit ihrem kleinen Café, das sie ganz in Personalunion bewirtschaftet. Sie macht den Einkauf, die Reinigung, den Service. Jeden Morgen bäckt sie frisch Quiches und Kuchen. Von der Zotter-Trinkschokolade über Gasparini-Glace bis zu Tee vom Länggass-Teeladen in Bern: In ihrem Café bietet Maya Abt nur auserlesene Produkte an. «Viele Kundinnen sagen mir, dass ich ihren Traum leben würde», so Abt. Doch ihrer sei es nie gewesen, sagt sie mit einem Schmunzeln.
(Ruth Marending)