Kollegialer Austausch statt Konkurrenz – das suchten die ersten Mitglieder der «Jeunes Restaurateurs d’Europe» in den 70er-Jahren. Die Altersobergrenze sorgt noch heute dafür, dass der Verein innovativ bleibt.
Alles begann mit einer langen Autofahrt nach Paris im Jahr 1988. Die Köche Stefan Meier und René Fracheboud waren unterwegs zur Generalversammlung der «Jeunes Restaurateurs». Jung waren sie, ein bisschen wild – und anders als ihre Lehrmeister, die ihre Rezepte vor ihnen versteckten und auf Konkurrenz statt Austausch setzten. «Die Zeit war reif für eine neue Ära», erinnert sich Stefan Meier, der heute das Gasthaus Rathauskeller in Zug führt. Eine neue Generation junger, offener Köche, die den Austausch mit Gleichgesinnten suchten, war herangewachsen. Die Philosophie der französischen Vereinigung stiess in der Schweiz daher auf regen Anklang.
Gemeinsam mit der Firma Grand Marnier, die als Produzent junge Köche unterstützen wollte, war «Jeunes Restaurateurs» 1974 in Paris gegründet worden – in einer Zeit, als Meisterköche wie Paul Bocuse oder Michel Guérard in aller Munde waren und die Förderung sich auf bereits bekannte Köche beschränkte. Doch auch die Jungen hatten das Bedürfnis, sich zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen, um selbst an die Spitze zu kommen. So entstand eine Vereinigung von ehrgeizigen jungen Köchen, die ihre Branche gemeinsam weiterbringen wollte.
Und weil es nicht nur in Frankreich gute junge Köche gab, entschied man 1988, die Vereinigung in ganz Europa zu etablieren. In der Schweiz überlegte man nicht lange: Kurz nach der Reise an die GV in Paris wurde 1989 die Schweizer Sektion der «Jeunes Restaurateurs gegründet. «Wir fanden die Idee sensationell», sagt Stefan Meier. Besonders die Altersbegrenzung von 49 Jahren, die früher noch strenger war, ist für ihn entscheidend für den Erfolg des Vereins: «So wird eine stetige Rotation gewährleistet. Es gibt keine Sesselkleber, ständig rücken junge Menschen mit neuen Ideen nach. So bleibt der Verein dynamisch, und das unterscheidet ihn auch von anderen Vereinigungen.»
Heute vertreten 32 Mitglieder in der Schweiz die Philosophie der «Jeunes Restaurateurs». Darunter so unterschiedliche Betriebe wie das Romantikhotel La Maison du Prussien in Neuchâtel, das Restaurant Platanenhof in einem ehemaligen Bauernhaus in Kirchberg, das älteste Restaurant des Kantons Solothurn – das «Zum Alten Stephan» – und das Gourmet-Restaurant Rigiblick in Zürich. So verschieden die Häuser und ihre Küchen sind, vertreten alle die gleichen Werte. Als leidenschaftliche Gastgeber wollen die Hausherren und -frauen besondere Gourmeterlebnisse kreieren. Dabei versuchen sie, Innovation und Tradition zu vereinen und setzen auf hochwertige Produkte aus ihrer Region. Egal, ob Stadtrestaurant, Ausflugsbeiz oder Landgasthof, im Zentrum steht das Wohl des Gasts und die Leidenschaft für den Beruf.
Leidenschaft – dieses Wort fällt immer wieder, wenn der aktuelle Präsident Martin Thommen vom Landgasthof Bären in Utzenstorf/BE, über die «Jeunes Restaurateurs Schweiz» spricht. Neben den gemeinsamen Werten und Zielen steht für ihn aber noch etwas anderes im Vordergrund: «Unter anderem ist es auch das kollegiale Miteinander, das den Verein ausmacht. Es entstehen Freundschaften fürs Leben.» Egal, ob man zusätzliches Personal für ein Bankett brauche, Geschirr für einen grossen Anlass oder einen Tipp für ein spezielles Produkt: «Ich weiss, dass ich meine Kollegen jederzeit anrufen kann.»
Martin Thommen erinnert sich noch gut daran, wie schnell sein Herz bei seiner eigenen Aufnahme in den Verein klopfte. «Ich hatte Respekt vor den grossen Namen und war mir nicht sicher, ob ich schon bereit dazu war, selbst Mitglied zu werden.» Doch die Bedenken verflüchtigten sich schnell: «Alle kamen sofort auf mich zu und stellten sich vor. Man ist von Anfang an Teil eines Ganzen und wird herzlich aufgenommen.» In der Gastronomiebranche sei das nicht selbstverständlich: «Man trifft oft auf Konkurrenzdenken – davon spürt man bei uns nichts. Wir sind eine grosse Familie.»
Entsprechend fröhlich geht es auch bei den Anlässen zu und her – den Generalversammlungen, dem jährlichen Skitag, dem Familientag oder der Schilderübergabe an die neuen Mitglieder. «Unsere Feste sind legendär», sagt Martin Thommen lachend. «Die GV findet immer bei einem Mitglied statt. Dieses gibt natürlich alles, um die Kollegen zu beeindrucken und ihnen einen unvergesslichen Abend zu bereiten.» Und wer sich tagtäglich um das Wohl des Gastes kümmert, geniesst es umso mehr, einmal selbst Gast sein zu dürfen. «Solche Anlässe motivieren, um danach wieder mit vollem Elan an die Arbeit zu gehen», sagt Martin Thommen.
32 Mitglieder – eine überschaubare Zahl. Der Präsident schätzt diese Kleinheit: «Wir kennen uns alle sehr gut, und jedes Mitglied engagiert sich bei den Aktivitäten des Vereins», sagt Martin Thommen. Auch Mitglieder, die die Altersgrenze von 49 Jahren erreicht haben, können als Ehrenmitglieder bis 54 weiterhin an den Aktivitäten teilnehmen. Nur Mitspracherecht gibt es keines mehr. Die Geschicke des Vereins werden von den Jungen geleitet.
Wer Mitglied werden will, muss selbständig sein oder zumindest Geschäftsführer. Das hat einen einfachen Grund: «Wer für ein Geschäft zuständig ist, steht anders hinter seiner Arbeit und seiner Philosophie als ein Angestellter», erklärt Martin Thommen. Aufgenommen wird zudem nur, wer eine Gault-Millau- oder Michelin-Bewertung hat und zwei Empfehlungsschreiben von Mitgliedern vorweisen kann. Dadurch kommt es selten vor, dass eine Bewerbung abgelehnt werden muss: «Unsere Mitglieder wissen, worauf es uns ankommt. Die Götti-Briefe sind daher sehr wichtig beim Aufnahmeprozess.» Trotzdem besuchen die Vorstandsmitglieder die Anwerber noch vor Ort, um sich selbst ein Bild von deren Betrieb zu machen. Neben diesen Vorgaben beinhaltet die Mitgliedschaft auch ein finanzielles Engagement: Die Aufnahmegebühr beträgt 2500 Franken, hinzu kommt eine Jahresgebühr in der gleichen Höhe.
Einen Höhepunkt in der Geschichte der «Jeunes Restaurateurs» in der Schweiz hat der Verein gerade hinter sich: Im Frühjahr fand der Kongress aller Mitglieder aus Europa in der Schweiz statt. «Die Österreicher hatten uns 2013 beim Kongress in Salzburg aus den Socken gehauen. Da sagten wir uns: Das können wir auch!», erzählt Thommen. Die Erwartungen waren hoch: 380 Mitglieder meldeten sich aus den 16 Mitgliedsländern für den Kongress in Luzern an – so viele wie noch nie zuvor. Und sie wurden nicht enttäuscht. Von der Welcome Party im Casineum, einem Brunch auf einem Dampfschiff auf dem Vierwaldstättersee, dem Kongress im Verkehrshaus, einem Food Market im Hotel Restaurant Balm bis zum Gala-Diner im Hotel Schweizerhof blieben keine Wünsche offen.
«Dieses Erlebnis hat uns noch einmal stärker zusammengeschweisst», sagt Martin Thommen. Alle zogen an einem Strang, um den Teilnehmern ein unvergessliches Erlebnis zu bieten. «Wenn ich mir die Videos nochmals anschaue, bekomme ich Gänsehaut. Jeder von uns hat alles gegeben, und das Resultat war einfach unglaublich.» Mit den Österreichern habe man gleichgezogen, ist Martin Thommen überzeugt: «Mindestens!» Auch das gehört zu den «Jeunes Restaurateurs Schweiz»: Sie können nicht nur hart arbeiten, sondern auch grossartige Feste feiern.
(Angela Hüppi)