Kunst provoziert, gefällt oder nicht, regt zu Diskussionen an – und holt Gäste ins Haus. Wer im Betrieb auf Kunst setzt, bietet den Gästen mehr als nur Essen und ein Bett, nämlich ein einmaliges Erlebnis.
Herausragend, ungewöhnlich, erstaunlich, unvergleichlich, einmalig – das sind nur einige der Begriffe, die in Presseartikeln und Kundenbewertungen über die «Kronenhalle» in Zürich gerne verwendet werden. Das liegt nicht nur an der mit 14 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten Küche, sondern auch am einmaligen Ambiente in dem geschichtsträchtigen Haus. Picasso, Kandinsky, Chagall, Klee, Braque – Werke all dieser Meister und vieler mehr können in der «Kronenhalle» bestaunt werden. Vor und während des Zweiten Weltkriegs war das Haus der Treffpunkt von Künstlern aus ganz Europa, die in der Schweiz vor den Nazis Zuflucht suchten. Die damaligen Besitzer Gottlieb und Hulda Zumsteg tauschten Essen gegen Kunst und halfen den Künstlern, ihre Werke zu verkaufen. Erst ihr Sohn Gustav begann, Kunst zu sammeln. Durch unzählige Kunstwerke machte er die «Kronenhalle» zu dem, was sie heute ist. «Die Kronenhalle ist zu einer weltweit bekannten Institution geworden, die von Kunstliebhabern und -freunden aus der ganzen Welt aufgesucht wird. Meistens, um auch zu speisen, ab und zu aber einfach nur zum Bewundern», sagt Direktor Christian Dangel. Von einem solchen Renommee können viele Häuser nur träumen. Es muss aber nicht immer gleich Picasso oder Kandinsky sein, um Gäste anzuziehen. Denn nicht nur altehrwürdige Häuser wie die «Kronenhalle» sind Anziehungspunkte für Kunstliebhaber. Jedes Jahr pilgern beispielsweise Kunstinter- essierte, Architekten und Künstler nach Zuoz im Oberengadin, um sich vom Hotel Castell inspirieren zu lassen.
Gemäss Hoteldirektor Martin Müller sind rund 20 Prozent der Gäste kunstbegeistert und kommen auch aus diesem Grund ins Castell. Die anderen 80 Prozent werden vor Ort von der Kunst überrascht. Schon im Eingangsbereich wird klar, dass es sich hier nicht um ein gewöhnliches Hotel handelt: Zehn ausgestopfte Tauben, die eine an Seilen befestigte Lederhose dem Himmel entgegen- tragen, begrüssen die Besucher. Das Werk von Carsten Höller stellt einen Traum dar, erklärt Hotelbesitzer Ruedi Bechtler: «Ein Junge sitzt auf einem Vogelnest und wird dann von den Tauben in den Himmel gezogen.» Nicht alle Hotelgäste sehen das so. Ab und zu gibt es Rückmeldungen von Besuchern, die beim Betreten des Hotels lieber nicht als Erstes tote Tauben sehen möchten. Doch genau das will Ruedi Bechtler: dass seine Gäste sich mit der Kunst in seinem Haus auseinandersetzen, sich von ihr auch mal gestört fühlen und zum Nachdenken angeregt werden.
Vor 20 Jahren hat Ruedi Bechtler das Hotel im Oberengadin gekauft. Als Liebhaber und Sammler zeitgenössischer Kunst wollte er das «Castell» zu einem einzigartigen Ort der Inspiration machen und begann sofort, das Haus mit Kunstwerken zu füllen. In allen Gängen und Ecken des Hotels sind heute Bilder und Skulpturen zu finden – doch das ist längst nicht alles. Das «Castell» ist mit den Jahren quasi selbst zum Kunstwerk geworden.
Die Rote Bar von Pipilotti Rist und Gabrielle Hächler bietet neben der umfangreichen Getränkeauswahl einen sinnlichen Ort für Begegnungen, die Terrasse aus Holz von Tadashi Kawamata schafft Orte der Erholung und Meditation und sorgt durch ihren provisorischen Charakter gleichzeitig für Irritationen, und Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger haben der einst nüchternen Ess-Stube mit ihren liebevollen Details wie Blumen, Zweige und Jagdtrophäen wieder neues Leben eingehaucht. Für ganz spezielle Erlebnisse im «Castell» sorgt Roman Signer. Unter anderem hat er auf der Wiese vor dem Hotel schon ausgemustertes Mobiliar in die Luft gesprengt – an diesen eindrücklichen Kunst-Event erinnern heute Fotos in den Hotelgängen.
Aus dem Weg gehen kann man der Kunst im Hotel Castell kaum, da sie überall präsent ist und sich wie ein roter Faden durch das ganze Gebäude zieht. «Wer nicht möchte, muss sich aber natürlich nicht vertieft mit den ausgestellten Werken befassen», so Müller. Und wer doch auf den Geschmack kommt, kann einen der regelmässigen Kunst-Events im Hotel besuchen. «Im ‹Castell› geht es um mehr als nur ums Schlafen und Essen», erklärt Martin Müller. Und als Besucher muss man ihm recht geben: Die Kunst schafft ein Ambiente, dem man sich kaum entziehen kann.
Ein besonderes Ambiente ist auch in jedem der 41 «Ristoranti» der Familie Bindella spürbar. Kunst ist dort allgegenwärtig, auch wenn sie – im Gegensatz zum Hotel Castell – vielleicht nicht jedem Gast sofort ins Auge sticht. «Kunst hat in meinem Leben schon immer eine grosse Rolle gespielt», erklärt Rudi Bindella im Restaurant Terrasse in Zürich. Er sitzt unter einem seiner Lieblingsbilder: Einem Gemälde der «Chiesa della Salute» in Venedig, festgehalten vom Züricher Maler und Plastiker Hans Hunold. Die von Rudi Bindella ausgewählten Werke haben einen ergänzenden Charakter, sie sollen nicht herausstechen. So sind in den Bindella-Restaurants auch keine provozierenden Werke zu finden, sondern solche mit Motiven wie die Toscana, Blumenfelder, Venedig, Essen und Trinken. «Die Werke sollen in erster Linie Lebensfreude ausstrahlen. Das passt zu uns und unseren Restaurants.» Wer bei Bindella einkehrt, soll von schönen Dingen umgeben sein. «Das ist vielleicht etwas konservativ», gibt Rudi Bindella zu, «aber Kunst bedeutet für mich eben auch Schönheit.» Mit abstrakter moderner Kunst kann er nicht viel anfangen. Entsprechend schwer fällt es ihm, die Lücken zu füllen, die der Tod von Künstlerfreunden wie der Zürcher Malerin Hanny Fries oder dem Megger Bildhauer Rolf Brem hinterlassen haben.
Rudi Bindella ist es aber wichtig, zeitgenössische Künstler zu unterstützen. «Wenn ich sehe, welch horrende Beträge man für die Werke von Künstlern, die nicht mehr am Leben sind, teilweise berappen muss, dann unterstütze ich lieber das zeitgenössische Kunstschaffen. Künstler führen oft ein schwieriges Dasein, nur wenige können aus eigenen Kräften komfortabel existieren.» Die Leidenschaft dieser Menschen fasziniert den Gastronomen und Weinhändler. Gerne lässt er sich von ihr inspirieren.
So hängt er auch jedes einzelne Bild selbst auf. «Ich bilde mir ein, dass niemand das so gut macht wie ich selbst», sagt Rudi Bindella lachend. Dabei geht es aber auch um den Respekt für das Werk: «Gute Kunst hat es verdient, dass man sie respektvoll platziert – auch wenn gute Kunst überall zur Geltung kommt.» Wie viele Werke er in seinen Restaurants, Büros und Lagern mittlerweile hat, weiss Rudi Bindella nicht. Nur, dass es eine Zahl im vierstelligen Bereich ist. Dafür weiss er aber ganz genau, wo er die Werke platziert hat: Verschiebt die Putzequipe ein Werk nur um zwei Zentimeter, rückt Rudi Bindella es bei seinem nächsten Besuch sofort zurecht.
Natürlich kann es sich nicht jeder Restaurant- oder Hotelbetreiber leisten, eine eigene Kunstsammlung anzulegen. Das ist aber auch gar nicht nötig. Eine Zusammenarbeit mit Künstlern und Designern ist für beide Seiten profitabel: Der Künstler erhält eine Plattform für seine Werke, während der Gastgeber beispielsweise am Verkaufsgewinn beteiligt ist. Eine aktuelle Studie der US-Beratungsfirma Doblin Deloitte Consulting zeigt auf, dass das Hotel der Zukunft «mehr als ein reines Nachtlager» sein muss, um sich von der Masse abzuheben und sich auf dem Markt behaupten zu können.
Ein Weg, dies zu tun, ist über die Kunst. Ausstellungen und Anlässe holen neue Gäste ins Haus und verleihen dem Betrieb ein Profil. Die Studie zeigt, dass müde Geschäftsreisende am Abend nach Inspiration und Energie suchen, während junge Reisende neue Erlebnisse und die Flucht aus dem Alltag suchen. Beides kann Kunst bieten. So bleibt ein Hotel den Gästen in Erinnerung und wird vom reinen Schlafplatz zur Marke.
(Angela Hüppi)