Serie: Zeitreise (Teil 8)
In den Hotels gab es zur Zeit der Belle Epoque über 75 verschiedene Berufe. Darunter die Demoiselle Pipi, den Liftier und den schwarzen Koch.
Front-Cooking, Erlebnisgastronomie, personifizierte Dienstleistungen – was im modernen Gastgewerbe oft als Innovation oder Trend vermarktet wird, ist eigentlich ein alter Hut. Bereits um 1900 standen den Gästen Hotelangestellte zur Verfügung, die sehr persönliche Dienstleistungen erbrachten und dafür sorgten, dass der Restaurantbesuch ein Erlebnis wurde. «Es liegt uns eine Auflistung der Hotelberufe aus dem Jahr 1918 vor. Dort werden 75 einzelne Berufe beschrieben», sagt Evelyne Lüthi-Graf, Geschäftsführerin des Hotelarchiv Schweiz. «Einige dieser Berufe gibt es heute nicht mehr, oder sie verschmolzen zu einem neuen Beruf.»
Zu den Jobs, die wegen der technischen Entwicklung überflüssig wurden, gehören der des Liftboys und der der Telefonistin. Früher durfte nur der Liftier den Aufzug in Betrieb setzen. War der Liftboy gerade in der Pause, musste er die Aufzugstür abschliessen. Den Gästen war es ausdrücklich verboten, die Knöpfe selber zu drücken.
Während heute jeder Gast sein Telefon bei sich trägt, musste früher das «Fräulein vom Amt» jede Gesprächsverbindung einzeln herstellen. Kabel wurden ein- und umgestöpselt, ab und zu wurde auch mitgehört. Die Frauen – es gab praktisch keine Telefonisten – mussten sehr diskret und vertrauenswürdig sein.
Das Gleiche galt für den Postier. Er war nur dafür verantwortlich, dass die Gäste ihre Post bekamen. Während ihres Aufenthalts, vor allem aber, wenn sie bereits abgereist waren. «Der Postier wusste von allen Gästen, woher sie kamen, mit wem sie korrespondierten und wohin sie nach ihrem Aufenthalt als nächstes reisen würden. Schliesslich musste er ja wissen, wohin er ihnen die Post nachschicken sollte.» Weil sie eine Art Geheimnisträger waren, wurden Telefonistinnen und Postier direkt der Direktion unterstellt. Ebenso die Tippmamsel oder vornehmer Daktylografin. Damit das Geklappere ihrer Schreibmaschine die Gäste nicht störte, wurde sie in die hinterste Ecke der Büroräume verbannt.
Nicht versteckt, aber diskret im Hintergrund tätig, war die Demoiselle Pipi. Ihre offizielle Berufsbezeichnung lautete Demoiselle vestiaire et garde lavabo. Ihr Arbeitsort waren die Toilettenräume des Hotels. Nach jedem WC-Gang eines Gastes musste sie die sanitären Einrichtungen sofort reinigen. Ausserdem hatte sie die Garderobe der Gäste zu überprüfen. Lose oder fehlende Knöpfe wurden an Ort und Stelle rasch angenäht, Flecken ausgebürstet, heruntergerissene Säume gerichtet. Bei festlichen Bällen musste die Demoiselle Pipi den Damen in ihren üppigen Roben beim Verrichten der privaten Angelegenheiten zur Hand gehen. Sie raffte die mehrlagigen Röcke, hielt Schleppen und richtete alles wieder salonfähig her, bevor die Damen die WC-Räume verliessen. Demoiselle Pipi half auch beim Auffrischen von Make-up und Frisur.
Nicht so intim war der Service, den der Billardmaker den Gästen bot. Seine Aufgabe bestand darin, den Billardtisch aufzubauen und die Spieler mit Getränken zu versorgen. «Aus dem Billardmaker hat sich der Barkeeper-Beruf entwickelt», sagt Evelyne Lüthi-Graf.
Fürs leibliche Wohl der Gäste waren immer schon die Köche zuständig. Allerdings war es in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg schick, dunkelhäutige Köche, möglichst aus Indien, zu beschäftigen. Die Gäste aus Grossbritannien kannten und liebten die aromaintensive indische Küche aus ihren Kolonien. Die Gäste aus den USA wiederum waren verrückt nach allem, was exotisch wirkte. Deshalb steckten die Hoteldirektoren ihre dunkelhäutigen Köche in möglichst malerische Uniformen. Die so genannten schwarzen Köche mussten als besondere Attraktion vor dem Gast kochen. Um das exotische Erlebnis zu perfektionieren, wurde dunkelhäutiges Servicepersonal engagiert.
Da so viel dunkle Haut den hellhäutigen Gästen etwas unheimlich war, mussten die indischen Kellner im Service weisse Handschuhe tragen. «Diese Sitte wurde aus Hygienegründen dann auch für das gesamte Servicepersonal eingeführt», weiss die Historikerin. Die Hoteldirektoren hätten nämlich festgestellt, dass es die Mitarbeitenden mit Händewaschen und sauberen Fingernägeln nicht so genau nahmen. «Mit weis- sen Handschuhen war das Problem elegant gelöst.»
(Riccarda Frei)