Unwetter: Ausnahmezustand, ja, aber alles nur noch halb so wild

Graubünden, Wallis und Tessin – gleich drei Tourismuskantone sind Opfer von Unwettern geworden. Betroffene erzählen, wie es ihnen erging.

Erdrutsche, Überschwemmungen, Schlamm- und Gerölllawinen: Diesen Sommer hat Mutter Natur gezeigt, dass sie nicht nur wunderschön, sondern auch wild, unbändig und zerstörerisch sein kann. Während Zermatt/VS mit reinen Sachschäden davongekommen ist, sind im Misox/GR sowie im Val Bavona/TI und in Saas-Grund/VS Menschen ums Leben gekommen.

Verunsicherte Gäste

Der Schock sitzt tief, dennoch laufen die Aufräumarbeiten überall auf Hochtouren. So ist die A13 seit dem 5. Juli wieder befahrbar, wenn auch nur einspurig. «Dass die Strasse so schnell wieder offen ist, haben wir meinen Cousins – den Somainis, die in Roveredo/GR ein Bauunternehmen haben – zu verdanken», sagt Hotelier Diego Glaus vom Albergo Losone in Losone/TI nicht ohne Stolz. Seine Verwandten hätten von vier Uhr morgens bis nachts um zehn Uhr durchgearbeitet. «Nur in der Dunkelheit haben sie pausiert, weil sie nicht sehen konnten, ob das Wasser in der Moesa ansteigt.» Diese Vorsichtsmassnahme ist durchaus berechtigt, hat das sonst so malerische Flüsschen doch gezeigt, wie unberechenbar, schnell und zerstörerisch es sein kann.

Diego Glaus weiss nur zu gut um die Macht des Wassers. 1978 wurde das Albergo Losone Opfer der über die Ufer tretenden Maggia. Heute schützt ein Damm das Hotelareal vor diesem Fluss. Die Nachrichten von den Unwettern im oberen Maggiatal und im Misox haben aber auch seine Gäste verunsichert.


«Die Tagesumsätze hatten sich im Vergleich zum Normalbetrieb halbiert.»

Barbara Gätzi, Geschäftsführerin Viamala Raststätte in Thusis/GR


«Es gab Gäste, die anriefen, um zu fragen, ob es uns noch gibt», erzählt Diego Glaus. Einige Gäste haben zudem vom Sommer auf den Herbst um- und inzwischen wieder auf Sommer zurückgebucht. Doch abgesehen davon hatten die Unwetter keine Folgen für das Albergo Losone.

Massive Umsatzeinbrüche

Nicht an allen ist der Unterbruch der A13 so spurlos vorbeigegangen. Unterbrochene Strassen und Bahnlinien im Tessin, im Wallis und in Graubünden haben direkte wie auch indirekte Auswirkungen auf Ein- und Zweitheimische, auf Gäste, Passanten,Lieferanten und Lebensmittelproduzenten.

Der Erdrutsch vom 21. Juni bei Lostallo/GR beispielsweise führte dazu, dass Mitarbeitende der Swiss Lachs AG ihren Arbeitsort nicht mehr erreichen konnten. Das bedeutete für den Rest des Teams: Dauereinsatz, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Das wurde durch mehrere unwetterbedingte Stromausfälle zusätzlich erschwert. Ohne Durchgangsverkehr sind zudem die Verkäufe im Shop massiv eingebrochen.

Auch die Viamala-Raststätte in Thusis musste Umsatzeinbussen hinnehmen. «Die Frequenzen auf der A13 sind um die Hälfte zurückgegangen. In der Folge haben sich auch unsere Tagesumsätze halbiert», sagt Barbara Gätzi. Sie ist Geschäftsführerin der Raststätte. Als Massnahme hat sie die Arbeitspensen der rund 30 Voll- und Teilzeitmitarbeitenden leicht zurückgefahren und sie Überstunden abbauen sowie Ferientage beziehen lassen.

Verzögerter Saisonstart

Auch für das 17 Kilometer entfernte San Bernardino/GR hatte der Erdrutsch in Lostallo Auswirkungen. Der Unterbruch der A13 respektive ihre eingeschränkte Nutzbarkeit ist für den Ort gerade diesen Sommer bitter. Nach zehn Jahren Stillstand sind im Dezember die ersten Anlagen der San- Bernardino-Bahnen saniert und wieder in Betrieb genommen worden. Das Dorf ist nun bereit, aus seinem touristischen Halbschlaf, in den es ohne funktionierende Bergbahn gefallen war, zu erwachen und aufzublühen.

Der Verkehr rollt wieder auf der ganzen Strecke der A13. Damit kehrt auch etwas Normalität zurück. (Keystone-SDA)

Obschon San Bernardino von Norden her jederzeit problemlos erreichbar war, hagelte es in den Hotels Annullationen. Hans Peter Wellig führt seit 40 Jahren das Hotel Bellevue in San Bernardino. «Es herrscht eine Atmosphäre in San Bernardino wie damals während des Corona-Lockdowns», beschrieb der Hotelier gegenüber der «Südostschweiz» die Stimmung im Dorf während des Unterbruchs der A13. Inzwischen ist das Dorf auch von Süden her erreichbar und freut sich auf Gäste.

Positive Signale

«Mit vollem Respekt und grosser Empathie nach den tragischen Ereignissen halten wir es für wichtig, ein positives Signal zu setzen», sagt Niccolò Meroni, Marketingmanager der San Bernardino Swiss Alps SBSA. Darum habe man sich entschieden, Veranstaltungen wie geplant durchzuführen. «Zu den Verpflichtungen und Zielen unseres Unternehmens gehört, einen Beitrag zur regionalen Wirtschaft zu leisten. In der Region Moesa tun wir dies anhand des Wiederbelebungsprojekts von San Bernardino und durch die Steigerung der touristischen Attraktivität des Ortes.» Als Höhepunkte der Saison nennt Meroni das Musikfestival SanBe Sound am 20. und 21. Juli sowie das Kulinarikfestival «Serre – Alpine Gourmet» vom 2. bis 12 August.

(Riccarda Frei, Andrea Decker, Daniela Oegerli)


So ist die Situation derzeit bei uns

Diego Glaus

Hotelier, Albergo Losone in Losone/TI

Die Situation im Bavonatal und im oberen Maggiatal ist sehr schlimm. Das will ich nicht klein­reden. Aber es erstaunt mich, dass die Medien den Eindruck vermitteln, das ganze Tessin sei abgeschnitten. 90 Prozent des Kantons ist nicht betroffen. Man kann hier wunderbar Ferien machen. Auch unsere Gäste waren zuerst verunsichert und wollten umbuchen. Doch mittlerweile hat sich die Lage normalisiert und wir haben das Haus voll.


Stephan Rohrer

Leiter Retail & Marketing der Gotthard Raststätte in Schattdorf/UR

Am Wochenende nach der A13-Sperrung war der Mehr­verkehr am Gotthard spürbar. Besonders Richtung Norden. Wir haben im Juli und August stets 7/24 offen. Das hat jetzt gepasst. Die Warenbestände haben wir punktuell etwas erhöht. Unter der Woche waren die höheren Frequenzen nicht spürbar, da unsere Abläufe so ausgelegt sind, dass wir problemlos bis zu 30 Prozent mehr Besucher be­wältigen können.


Roland Herculeijns

Director Sales & MarketingSwiss Lachs AG, Lostallo/GR

Der Verkehr auf der A13 rollt zwar wieder, doch leider sind die Frequenzen in unserem Farm Shop noch nicht wieder auf Vorjahresniveau. Demnächst wird aber ein Teilsortiment unserer Swiss-Lachs-Produkte in der Gotthard-Raststätte Nord erhältlich sein. Zudem eröffnen wir als weitere Verkaufsmassnahme vom 9. bis 30. September sowie im Monat Dezember einen Pop-up-Store im Glattzentrum in Wallisellen/ZH.


Patrick Eigenmann

Leiter Unternehmenskommunikation der Pistor AG in Rothenburg/LU

Pistor beliefert seine Kunden auch in Krisensituationen zuverlässig. So fahren wir Umwege, beliefern mit anderen Transportmitteln und setzen Doppelbesetzungen auf den Lkws ein. Dadurch konnten wir alle Lieferungen im Tessin planmässig und im Wallis mit leichten An­passungen durchführen. Das bedingte eine fortlaufende Umdisponierung unserer Lkw-Touren und eine transparente Kommunikation.


Markus Berger

Leiter Unternehmenskommunikation, Schweiz Tourismus, Zürich

Viele Gäste, vor allem aus Übersee, haben ihre Ferien schon lange gebucht, daher gibt es kaum Stornierungen aus dem Ausland. Die Gäste vertrauen darauf, dass alles funk­tioniert. Ausserdem informieren die Reiseleitungen vor Ort, falls Fragen auftauchen. Viele Gäste erkundigen sich bei ihren Hotels oder Wohnungsvermietern, wie die Lage aussieht. Zudem informieren die Tourismusregionen laufend über die Lage in den betroffenen Orten.


Mehr Informationen unter:

ticino.ch

valais.ch

graubuenden.ch