Eigentlich wollte Nora Garberson Ärztin werden. Statt um Patienten kümmert sie sich nun um Gäste.
Als Nora Garberson an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern SHL erzählt, dass sie ihr Servicepraktikum im «Noma» absolvieren wird, erntet sie nicht nur Bewunderung. Das Kopenhagener Restaurant, das vom «Restaurant Magazine Top 50» vier Mal zum besten der Welt gekürt wurde, gilt unter zahlreichen Spitzenköchen als Geburtsort der Nordic Cuisine als derzeit wichtigstes Restaurant der Welt. Es prägt mit seiner produktbezogenen Philosophie eine ganze Generation wie kein anderes Restaurant. Gleichzeitig hörte Nora Garberson auch warnende Stimmen: «Du wirst dich vor lauter Arbeit in den Schlaf weinen.» Oder: «Das ist Stress pur.»
Und tatsächlich: Als sie ihre ersten Schritte in ihren neuen Arbeitsort wagte, glaubte auch Nora Garberson, dass es wohl das Beste wäre, rechtsumkehrt zu machen und schleunigst den Nachhauseweg anzutreten. Wie um Himmels Willen soll sie sich all diese Abläufe einprägen? Wie soll sie die komplizierten Gerichte begreifen und dem Gast erklären? Wie soll sie je verstehen, welches Besteck zu welchem Gang gehört?
Rasch wich die Angst vor Überforderung der Begeisterung. «Als ich hier anfing», erzählt die SHL-Studentin, «erschien mir alles wie ein crazy Ameisenhaufen. Aber man kommt schnell rein.» Das Gerücht von den unmenschlichen Arbeitszeiten sei falsch. «Das war wohl so, als der Betrieb im letzten Jahr wiedereröffnete.» Mittlerweile seien die Schichten human. Die Frühschicht beginne um 13 Uhr, die späte um 15.30 Uhr. Beide enden um 1 Uhr in der Nacht. «Ich arbeite gerne und will länger bleiben, weil ich gut behandelt werde.»
Derzeit ist Vegi-Saison im «Noma». Auf den Tisch kommen Gerichte wie ein Sellerie-Shawarma oder ein Erdbeer-Ceviche. Das Lieblingsgericht der Baslerin ist ein seidiger Pudding aus Kürbiskernmilch, serviert auf grillierten Rosenblättern und einer Mole aus Walnuss. «Ich liebe das Gericht, weil es wahnsinnig lecker ist, aber auch, weil ich weiss, wie viel Arbeit dahintersteckt.»
Zurzeit ist Nora Garberson noch Praktikantin, doch die Gespräche mit den Vorgesetzten haben bereits stattgefunden: Die 24-Jährige wird ihre ursprünglich geplanten fünf Monate im Betrieb verlängern. «Ich spüre viel Wertschätzung. Die Chefs merken schnell, was man dem Mitarbeiter zumuten kann. Ich werde gefördert.» Zudem sei es das grosse Anliegen von Chef René Redzepi, eine glückliche Equipe zu haben. «Er sagte uns, es sei ihm wichtiger, die beste Mannschaft der Welt zu haben, als das beste Restaurant der Welt zu führen.»
Diese Einstellung, die besonderen Konzepte und die durchdachten Abläufe öffneten Nora Garberson die Augen. «Ich will später ein eigenes Restaurant eröffnen. In der Schweiz oder im Ausland.» Sie sehe in der Schweiz noch viel Potenzial: Coole Betriebe, in denen konsequent mit lokalen Produkten gearbeitet wird und auch mal der Koch selbst dem Gast einen Teller bringt, gebe es hierzulande noch kaum.
Dabei wollte die SHL-Studentin eigentlich Ärztin werden. Erst Dermatologin, dann Herzspezialistin. Nach zwei Jahren brach sie das Medizinstudium ab. «Ich kam immer knapp mit Noten um 4 oder 4,5 durch. Als ehrgeizige Person machte mich das nicht glücklich. Ich sagte mir: ‹Wenn du das wirklich wolltest, wärst du doch besser.›» Um Geld zu verdienen, arbeitete sie deshalb vorderhand in Fabio Gemperlis «1777», einem Basler Betrieb mit Restaurant, Café und Bar.
Als der ehemalige SHL-Absolvent sie dann zum Lunch in der Luzerner Hotelfachschule einlud, war es um Nora Garberson geschehen. Heute hat sie lieber glückliche Gäste als kranke Patienten um sich.
(Benny Epstein)